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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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war liebenswürdig, aber der Patrouillenführer musterte nun Bara, der mit gesenktem Kopf zwei Schritte hinter Marikani stehen geblieben war. Marikani erkannte, dass der Vahas ihn binnen eines Augenblicks auffordern würde, sein Gesicht zu zeigen - und dann würde es zu spät sein. Jede Erklärung würde gezwungen und verdächtig wirken.
    Der Vahas öffnete den Mund; sie musste ihm zuvorkommen.
    »Ich habe noch ein Problem«, sagte Marikani in scheinbar gleichmütigem Ton, zerrte Bara mit einer knappen Bewegung nach vorn und hob das Stoffstück, um das klare Blau seiner Augen den Blicken zu enthüllen.
    »Mein Neffe hat von Geburt an blaue Augen«, erklärte sie mit genau dem richtigen Maß von Kummer und Abscheu in der Stimme. »Meine Schwester hat unter Krämpfen gelitten, als sie schwanger war, und ihr Kind hat die Folgen zu spüren bekommen. Die Götter allein wissen, warum sie uns züchtigen …« Sie legte eine wohlberechnete Pause ein und deutete dann zum Himmel. »Seit den traurigen Ereignissen kann er sich nicht mehr auf offener Straße zeigen, ohne angepöbelt zu werden. Die Leute halten ihn für einen flüchtigen Sklaven, und mein Mann hat schon oft einschreiten müssen, um zu verhindern, dass ihm etwas angetan wird. Glaubt Ihr, dass er und ich die Stadt gefahrlos durchqueren können?«
    »Bei Lâ!«, flüsterte der alte Vahas und ergriff so zum ersten Mal das Wort. Er legte Bara die Hand auf die Schulter
und zwang ihn, sich zu ihm umzudrehen, so dass er ihm mit einer Neugier, der es nicht an Güte mangelte, in die Augen sehen konnte. »Mein armer Junge! Welch ein Fluch! Es wäre besser gewesen, Ihr wärt ohne Finger oder gleich ganz ohne Hände geboren worden …«
    Bara verkrampfte sich gekränkt, konnte das aber nicht deutlicher zeigen, ohne aus der Rolle zu fallen. Doch Marikanis Lüge hatte ihr Ziel erreicht. Der Patrouillenführer verneigte sich leicht, was Marikani an die höfischen Sitten von Harabec erinnerte. »Ehari Vashni«, sagte er sanft, »ich werde Euch nicht anlügen: Ihr habt Glück, uns getroffen zu haben. Ja, Euer Neffe ist hier in großer Gefahr, und wenn Ihr mir meine Offenheit verzeiht: Euer Mann hat wenig Urteilskraft bewiesen, dass er Euch mit ihm hierhergeschickt hat. Wenn er bemerkt wird, werden auch all Eure Erklärungen die Menge nicht aufhalten und … dann ist da noch Euer Akzent, Ehari. Dass Ihr aus Harabec stammt, wird für Euch nicht von Vorteil sein. Obwohl wir heute aufgrund der … Vorfälle im Westen verbündet sind, ist der Hass zwischen unserem Volk und dem von Harabec noch immer gleichermaßen heftig.«
    »Tatsächlich?«, fragte Marikani seufzend und heuchelte so gut sie konnte Entsetzen. Sie sah den Patrouillenführer aus großen, braunen Augen an. Er war jung und schön, sicher adlig wie die meisten Offiziere des Emirs; sie wusste, wie sie ritterliche Instinkte in Männern wecken konnte. »Ich verstehe. Bei den Göttern … Was ratet Ihr mir zu tun?«
    »Wir werden Euch bis zum Großen Markt eskortieren«, sagte der junge Mann und bedeutete seinen beiden Vahas, ihm zu folgen. »Dann, Ehari, rate ich Euch, bei
den Verbannten zu bleiben, ein Boot zu mieten, auf dem Wasserweg nach Kiranya zu reisen und Söldner zu dingen, die Euch beschützen können. Versucht nicht noch einmal, die Stadt allein zu durchqueren.«
    »Ich danke Euch.«
    »Aber ich vergesse meine Manieren«, fügte der Offizier plötzlich hinzu. Vollkommen unerwartet lächelte er. »Ein Mann darf nicht den Namen einer Dame aussprechen, die seinen nicht kennt. Vergebt mir bitte! In diesen wirren Zeiten vergisst man manchmal die schuldige Höflichkeit. Ich bin Yassî Eh Mered aus der Familie Anaures.«
    »Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet, Yassî Eh Mered. Die Sonne strahlt über unserer Begegnung«, sagte Marikani leise und verneigte sich ihrerseits. »Möge sie uns beiden zum Segen gereichen!«
     
    Und so durchquerten sie Faez unter dem Schutz der Männer des Emirs und den neugierigen Blicken der Passanten.
    Bara schwieg den ganzen Weg über; er konnte sicher kaum glauben, was ihnen widerfuhr. Sie gingen durch die Straßen der Wohnviertel und hörten gelegentlich hinter den weißen Mauern Frauenlachen, Musik oder Kindergebrabbel. Düfte stiegen in die Luft: nach Speisen, die mit sieben Gewürzen sorgsam zubereitet waren, nach parfümierten Kuchen und Tee in dreihunderterlei Geschmacksrichtungen. Dann wurden die Gassen enger und belebter, die Gerüche bodenständiger, und vor ihnen öffnete

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