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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Priester und Soldaten unter einer großen Eiche haltgemacht. In Hörweite, aber nicht so nah, wie Harrakin sie gern gehabt hätte.
    Würde Laosimba versuchen, ihn zu ermorden? Nicht vor fünfzehn seiner Männer … nicht, wenn alle da unten
im Lager gesehen hatten, wie sie zusammen aufgebrochen waren.
    Harrakin legte die Hand auf seinen Oberschenkel. Sein Kriegsdolch war da, in einer offenen Scheide, die von einem seiner langen Hemdschöße verdeckt wurde. Auch die Schwertscheide, die am Sattelzeug seines Pferdes befestigt war, war offen. Harrakin würde sein Schwert mit einer Bewegung ziehen können.
    Laosimba stieg ebenfalls ab.
    Harrakin verschränkte schweigend die Arme.
    Auf eine Kopfbewegung von Laosimba hin lösten sich drei der acht Priester aus der Gruppe unter der Eiche und kamen auf sie zu. Harrakin beobachtete, wie sie im Dreieck hinter Laosimba Aufstellung nahmen.
    Drüben unter dem Baum beobachteten Harrakins Soldaten erstaunt die Szene. Harrakin konnte sich vorstellen, dass sie ein seltsames Schauspiel boten: vier Priester in Grau und Silber, die in einem verlassenen Dorf vor einem einzigen Mann standen.
    Das Schweigen zog sich in die Länge. Einer der Priester öffnete die Tasche, die er bei sich trug, und holte ein leichtes Holzpult heraus, das er aufklappte und auf den Boden stellte.
    Dann zog er eine Schriftrolle aus Reynes, ein Tintenfass und eine Feder hervor.
    Harrakin hielt die Arme weiter verschränkt. Er hatte nicht die Absicht, als Erster zu sprechen.
    »Harrakin a Manilos a Arrethas, König von Harabec«, begann Laosimba mit sanfter Stimme, »ich habe die unangenehme Pflicht, Euch mitzuteilen, dass Ihr der Häresie angeklagt seid. Wie Ihr wisst, steht das Königreich Harabec unter religiösem Verdacht, seit mitten im
Palast im Schatten des Arrethas-Tempels das Geschöpf erschienen ist, das man ›die Demeana‹ nennt. Die Hinweise, die mir zugetragen worden sind, zwingen mich, Euren Fall zu untersuchen. Unser Gespräch heute wird nur ein erstes Verhör bilden, mit dem Zweck, meinen Verdacht zu erhärten oder zu entkräften. Sprecht frei und ungezwungen …«
    Harrakin rührte sich nicht. Sprecht frei und ungezwungen … Ganz gewiss nicht! Der Priester am Schreibpult war ein Amanash. Um-Akr sah durch seine Augen und hörte durch seine Ohren. Seine Gegenwart bei diesem »Gespräch« bedeutete, dass jedes Wort, jedes Zögern und jeder Gesichtsausdruck Harrakins auf dem geheiligten Papier festgehalten werden würde. Was von einem Amanash auf eine Schriftrolle aus dem Tempel geschrieben wurde, konnte niemals angezweifelt werden, da es die göttliche Wahrheit widerspiegelte.
    »Wenn ich mich entschlossen habe, Euch hierherzubringen«, fuhr Laosimba fort, »dann, damit diese Untersuchung sich nicht herumspricht. Die Situation ist schon schwierig genug. Wir dürfen nicht auch noch unter unseren Truppen Zweifel säen. Zumindest noch nicht …«
    Die Drohung war noch nicht einmal verhüllt.
    »Ich verstehe«, sagte Harrakin. »Das scheint mir eine weise Entscheidung zu sein.«
    Laosimba wartete, aber Harrakin fügte nichts hinzu, keinen Kommentar, keinen Vorschlag. Um einen religiösen Prozess zu überleben, musste man so wenig wie möglich reden, um nicht Gefahr zu laufen, sich zu widersprechen oder das Falsche zu sagen. Jede Gefühlsaufwallung konnte einem zum Nachteil ausgelegt werden.
    Unter der Eiche unterhielten sich die Soldaten angeregt;
alle Blicke waren auf das, was sich abspielte, gerichtet.
    »In welchem Maße hat Eure fleischliche Beziehung zu der Demeana Euren Geist berührt?«
    Du Wiesel! , dachte Harrakin, ohne die verschränkten Arme zu lösen und ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Geradewegs ins Ziel, ohne Überleitung. Eine direkte, derbe Anklage, die ihn aus dem Gleichgewicht bringen sollte.
    »Mein Geist ist nicht betroffen«, sagte er schlicht.
    Es wäre natürlich ein Fehler gewesen, Marikani zu verteidigen - zu verkünden, dass sie nur ein Mensch war, eine Lügnerin und Sklavin, ja, aber nicht die Verkörperung des Bösen. Dann wäre Harrakins Sache sofort verloren gewesen. Die Orakel und Götter hatten beschlossen, dass Marikani die Demeana war, und das zu bestreiten wäre der Beweis gewesen, dass Harrakins Geist verderbt war. Darauf wartete Laosimba nur …
    »Lionor Mar-Arajec und Arekh es Morales, die beiden Gefangenen, die wir … verhört haben«, fuhr der Hohepriester mit einem kleinen Lächeln fort, »waren im Geiste vom Einfluss der Demeana befleckt. Wir haben

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