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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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sie lebendig und glücklich hier zu haben, mit ihnen zu essen, zu reden?
    Und dennoch …
    Dennoch verschwanden Jahrtausende der göttlichen Gesetze, der Kultur und Erziehung nicht einfach so.
    Vier weitere Tage vergingen, und Mas Dravec erschien
nicht wieder. In den vorangegangenen Wochen war der Rhythmus, in dem er Flüchtlinge in die Freiheit geführt hatte, langsamer geworden, aber wenigstens war er immer noch dann und wann gekommen, um Neuigkeiten zu erzählen, die Reichsten zu beruhigen und Geld zu fordern.
    Jetzt nicht mehr.
    Seine Abwesenheit hob die Moral der Flüchtlinge nicht gerade.
    Sie waren nicht ganz sich selbst überlassen. Fünf Männer wechselten sich bei der Bewachung des Gitters ab. Nach dem Verschwinden ihres Herrn wurden sie von den verängstigten Flüchtlingen mit Fragen bestürmt. Fragen, auf die sie zunächst beruhigend antworteten, dann leicht gereizt und schließlich gar nicht mehr. Am dritten Tag verschanzten sie sich hinter dem Gitter und blieben dort; sie lehnten jegliches Gespräch ab.
    Einen Tag später wollten zwei Familien die Kavernen verlassen.
    Mas Dravecs Männer weigerten sich, sie durchzulassen.
    Die Familien zogen sich zurück, ohne zu beharren, und es geschah nichts, was nicht wiedergutzumachen gewesen wäre, aber die Botschaft war klar: Sie waren wirklich gefangen.
    »Wir müssen weg«, flüsterte Lionor am folgenden Morgen. »Wir müssen weg! Wenn ich noch länger hierbleibe, dann werde ich …«
    Sie schwieg, aber Arekh wusste, was sie sagen wollte. Sie brauchten Sonne und Licht, oder sie würden austrocknen … Ihr Geist würde austrocknen. Und auch das Kind wird sterben , dachte Arekh mit Blick auf den Kleinen, der immer blasser und schwächer wirkte. Wenigstens hustete er nicht mehr.

    Einen halben Tag später hatten sie einen Plan gefasst. Arekh hatte sich der Hilfe sieben weiterer Flüchtlinge versichert. Es waren kräftige Männer darunter: zwei ehemalige Sklaven, ein Familienvater, der sich Sorgen um die Gesundheit seiner kleinen Tochter machte, und zwei Männer, die behaupteten, Händler zu sein, die Arekh aber für Söldner, Diebe oder Schmuggler hielt. Damit waren sie ideal für diese Aufgabe geeignet.
    Die Taktik war einfach. Venina, die Verlobte eines der »Händler«, würde Mas Dravecs Wachen so nahe wie möglich ans Gitter locken und ihnen ihre Reize im Gegenzug für die Erlaubnis, hinauszugehen, anbieten. Ob die Männer annahmen oder nicht, spielte keine Rolle. Das Mädchen musste sie nur dazu bringen, das Gitter zu öffnen, so dass Arekh und die anderen sie würden überrumpeln können.
    Wenn die Männer das Gitter nicht öffneten, würden sie auf den Ersatzplan zurückgreifen, das Gitter aufbrechen und ihre Kerkermeister niedermetzeln.
    »Warum behalten sie uns hier?«, fragte Lionor, während die Verschwörer sich nahe an der Wand zusammenscharten. »Wenn sie uns nicht durch den Mauerring bringen können, warum lassen sie uns nicht einfach gehen? Sie haben unser Geld doch schon.«
    »Manche haben noch etwas«, sagte Arekh und wies auf die Flüchtlinge ringsum. »Geld, das Mas Dravec ihnen sicher noch abpressen will. Und wenn wir hinauskämen, könnten wir sie verraten, falls wir verhaftet werden. Vielleicht glauben sie, dass die Situation sich noch ändern könnte, dass sie andere Schleuser und neue Methoden finden …«
    »Und wenn nicht?«

    »Dann werden sie sich sicher entschließen, sich unserer zu entledigen«, sagte Arekh. »Das ist die vernünftigste Lösung. Sie würden unseren Leichen das Geld abnehmen.«
    Lionor nickte und wich dann ein paar Schritte zurück, um dem Schauspiel zuzusehen.
    Einige Schritte von Arekh entfernt machte Venina sich bereit: Sie kämmte sich das lange schwarze Haar und öffnete halb ihre Bluse. Nach dem langen Aufenthalt in den Kavernen waren weder ihre Haare noch ihre Kleider sehr sauber, aber solch ein kleiner Schönheitsfehler würde Mas Dravecs Männer schon nicht abschrecken.
    Venina trat an das Gitter heran und wiegte ein wenig theatralisch die Hüften. Die junge Frau hatte ihr Publikum wohl richtig eingeschätzt; zwei Gestalten näherten sich sofort dem Gitter. Venina legte eine Hand aufs Gitter, beugte sich vor …
    Und das Gitter öffnete sich, um Pier durchzulassen.
    Arekh war verblüfft; die Männer an der Wand blieben unsicher stehen. Seit Tagen war kein neuer »Kunde« mehr gekommen, und mit seinen luxuriösen Gewändern, seinem Priesterkragen und seinem gedankenverlorenen Blick hatte Pier nichts mit den

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