Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
Vom Netzwerk:
Ferkel kastrieren war, hat mir der Herr Kanschitz erzählt, dass der kleine Suchanek den Brandstifter gesehen hat.»
    Zu diesem unverzichtbaren Diskussionsbeitrag nickte der Doktor des lieben Viehs eifrig wie ein Hutablagenhund.
    «Der Täter musste also ursprünglich zwar befürchten, durch Sie eventuell enttarnt zu werden. Aber das fällt ja jetzt weg, weil Sie Ihre sogenannte Aussage ja nun endlich gemacht haben», fuhr der Kommissar fort. Und dann zog er genießerisch seine Trumpfkarte: «Also ist aus meiner Sicht Personenschutz nicht mehr nötig.»
    Suchanek war entsetzt. «Sie können mich dem Kerl doch nicht einfach zum Fraß vorwerfen!»
    Wimmer schien an der Ärmelnaht seines Sakkos einen vorwitzig hervorstehenden Faden entdeckt zu haben, der jetzt seine ganze Aufmerksamkeit erforderte.
    «Schauen Sie, Herr Suchanek», sagte er gedehnt und zupfte, ohne Suchanek anzusehen, mit spitzen Fingern an dem Zwirn. «So leid es mir tut, aber die Sparmaßnahmen machen auch vor uns nicht halt. Wissen Sie, ich bin in meiner Dienststelle auch in der Personalvertretung. Und ich kann Ihnen sagen, den Kollegen steht es bis
hier
 …», – Wimmer ließ kurz von dem Faden ab und knallte sich die Handkante zackig an die Stirn, als habe er sich beim Salutieren verschätzt – «… sich immer von allen Seiten anhören zu müssen, dass es zu viele Beamte gibt und wir alle viel zu viel verdienen und und und. Ich sag dann immer, Kollegen, sag ich immer, dann müssen die Leute eben am eigenen Leib spüren, was es heißt, wenn der Staatsdiener als solcher gezwungen ist, seine Dienstleistung einzuschränken.»
    Suchanek hätte nie gedacht, einmal in eine Lage zu geraten, in der ihn die Aussicht auf zu wenig Polizei in seiner unmittelbaren Nähe zu einer derartigen Selbstdemütigung zwingen würde. «Gut. In Ordnung.» Er schluckte. «Ich entschuldige mich in aller Form für meinen Ausbruch vorhin. Ich, ich … Ich bin in einer psychischen Ausnahmesituation. Und ich schwöre Ihnen, ich hab noch nie schlecht über Beamte gesprochen.»
    Keine Reaktion.
    «Und mir ist auch völlig klar, was für einen schweren und undankbaren Job Sie haben.»
    Okay. Einer ging noch.
    «Und was mich betrifft, können Sie gar nicht genug verdienen.»
    War da ein Zucken? Da war ein Zucken, oder?
    «Bitte, Herr Inspektor!»
    Eine Viertelstunde später stand Suchanek vor dem Gartentor seiner Eltern, im Arm den immer noch schwer zugedröhnten Hund, dessen Kopf in einem weißen Grammophon-Lautsprecher steckte, und schaute zu, wie der dicke Bulle seinen kurzen Oberkörper über den Beifahrersitz wälzte und mit stummem Grinsen die von Suchanek in einem letzten Versuch, so etwas wie Mitgefühl zu erregen, offen gelassene Autotür zuschlug. Wahrscheinlich verfügten sich diese 110  Kilo pure Verantwortungslosigkeit jetzt in einen schattigen Wirtshausgarten und verzehrten dort seelenruhig eine ganze Kuh, während Suchanek hier alleine sein Leben verteidigen musste.
    Drinnen legte Suchanek den Hund vorsichtig auf das Sofa, stöberte aus dem Vorzimmerkasten eine Decke zutage, mit der er ihm, nachdem er den darauf klebenden Zettel («Papas Fernsehdecke – nicht missbräuchlich verwenden!») entfernt hatte, eine Art Nest baute, und ließ sich dann erschöpft neben ihn fallen. Weil außergewöhnliche Situationen nun einmal außergewöhnliche Handlungen erfordern, steckte er beherzt die Hand in den Trichter und tätschelte dem Tier den Kopf. Der Hund versuchte matt, ihm im Gegenzug die Hand zu lecken, fand das aber schlussendlich wohl doch zu anstrengend und schlief wieder ein.
    Zum ersten Mal, seit er in der Nacht davor in einem aussichtlosen Versuch, es zu verlängern, an seinem T-Shirt zerrend in Susis Flur gestanden war, hatte Suchanek jetzt den Kopf, gründlich über seine Situation nachzudenken. Sein erster Reflex war natürlich, sich ins Auto zu setzen, die Wulzendorf City Limits schnell hinter sich zu lassen und in die große Stadt zu flüchten. In seiner Wohnung hätte er sich fraglos am sichersten gefühlt. Kein Fenster, durch das im dritten Stock jemand hereinkommen könnte. Nur eine einzige Tür zu bewachen. Auch Nacktmulle, Grottenolme und ähnliche mit Suchanek verwandte Tiere hätten in seiner Situation so gehandelt. Aber ab und zu musste selbst ein an sich auf wochenlanges Sauerstoffdefizit und Astronautennahrung in Form von Lieferpizza trainierter Hardcore-Stubenhocker wie Suchanek seinen Bunker verlassen. Und da er aufgrund seiner sich jetzt

Weitere Kostenlose Bücher