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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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einzigen Ort, von dem er sich im Moment wirkliche Sicherheit versprach.
    Endlich war er da. Er lief die Stufen hinauf und trommelte schreiend an die Tür, lehnte sich an die Klingel, trat mit den Beinen. Sie hatte ihn zwar erst für morgen erwartet, aber darauf konnte Suchanek jetzt wirklich keine Rücksicht nehmen. «Susi! Susi, hilf mir! Mach auf! Der will mich umbringen!»
    Suchanek schaute sich panisch um. Es war niemand zu sehen. Er bearbeitete die Tür weiter mit den Fäusten. «Susi, bitte! Schnell! Ich bin’s!»
    Auf die Idee, dass die Angabe «Ich» um drei Uhr früh und in Verbindung mit einem solchen Spektakel eventuell ein wenig zu wenig sein könnte, kam er nicht.
    Im Haus ging trotzdem endlich ein Licht an. Und jemand nestelte am Vorhang an dem Fenster neben der Tür.
    «Gott sei Dank!», schrie Suchanek. «Mach bitte auf, Susi. Hilfe! Bitte, lass mich rein!»
    Die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt. Susi hatte wohl nicht vorgehabt, sie sofort ganz aufzureißen. Suchanek hingegen schon. Er drückte die Tür auf, drängte sich hinein und schaute dann noch einmal gehetzt hinaus. Da war zum Glück immer noch niemand. Suchanek warf die Tür zu, versperrte sie, drehte sich um und lehnte sich mit einem lauten Seufzer der Erleichterung an die Wand.
    Anschließend erkannte er sofort messerscharf, dass er hier nicht der Einzige war, der nur im T-Shirt schlief.

[zur Inhaltsübersicht]
8
    Der Mann war ein Virtuose. Und das war ja nun alles andere als selbstverständlich. Jeden hätte man in Wulzendorf fragen können. Jeden. Und jeder wäre natürlich davon ausgegangen, dass in Bernhardsau so etwas wie Virtuosität nicht einmal in Spurenelementen anzutreffen war. Entweder lag’s am Wasser oder an der vermutlich schon seit Jahrhunderten anhaltenden, mehr als verständlichen Weigerung von Auswärtigen, sich mit Bernhardsäuen zu kreuzen, man wusste es nicht. Es wäre sicher einmal lohnend gewesen, da ein Forschungsprojekt zu machen. Da waren die Wulzendorfer nicht so. Der Mensch forschte schließlich auch an Eintagsfliegen oder Blutegeln herum. Warum also nicht auch an Bernhardsäuen?
    Aber was der Bernhardsauer, dem Suchanek gerade auf die Finger schaute, aufführte, warf jegliche Wulzendorfer Theorie über den Haufen. Er wäre nämlich selbst in einem Hinterhof-Sweatshop in Bangladesh, in dem minderjährige Leibeigene in Lichtgeschwindigkeit coole Markenkleidung für konsumkritische Westler nähen, Mitarbeiter des Monats geworden. Er hatte gerade erst angefangen, die Wunde zusammenzuflicken, und war schon beim vierten Stich.
    «Au», sagte Suchanek.
    Der Arzt sah ihn über den Rand seiner goldenen Halbmond-Brille hinweg verständnislos an. «Aber geh!», sagte er dann. «So schlimm ist das jetzt echt nicht. Der Muskel ist nicht durchtrennt, dazu war der Schnitt nicht tief genug. Und außerdem muss man immer bedenken: zehn Zentimeter weiter vorne – und es wäre alles aus gewesen.»
    Der Kommissar schaute gedankenverloren in die immer kleiner werdende Wunde und stellte dann die Frage, vor der sich Suchanek schon die ganze Zeit gefürchtet hatte: «Wie heißt er?»
    Suchanek räusperte sich und sagte dann: «Ich weiß es nicht.»
    «Was heißt, Sie wissen es nicht?»
    «Ich hab’s vergessen.»
    «Sie sind gelungen! Wie kann man so was vergessen?»
    Das Verhör begann ungemütlich zu werden. Wenn sich Suchanek noch weiter in Widersprüche verwickelte, würde er sich garantiert bald in Beugehaft im klassisch österreichischen Maßnahmenstrafvollzug wiederfinden. Also in einem lichtlosen, schimmeligen Kotter in St. Pölten, in dem man ihn dann gänzlich unbeabsichtigt ein, zwei Wochen lang vergäße und in dem er mit knapper Not nur deshalb überlebte, weil er seinen Gürtel aufäße und seinen Urin tränke.
    «Ich bin erst seit zwei Tagen hier und hab ihn vorher praktisch noch nie gesehen.»
    Der Kommissar schüttelte tadelnd den Kopf. «Dann hat das arme Vieh ja eigentlich gar keinen Grund gehabt, Sie zu retten», sagte er spöttisch.
    Der Tierarzt war mittlerweile fertig und kappte schwungvoll den Faden. Dann klebte er ein großes Verbandspflaster auf den blank rasierten Hintern des schlaff daliegenden Hundes. «In einer Viertelstunde sollte er wieder wach sein. Ich setze ihm gleich einen Trichter auf, damit er nicht an der Wunde herumtut», sagte er.
    Suchanek hatte sich in der vergangenen Nacht dann doch entschlossen, seine Zusammenarbeit mit der Polizei zu intensivieren und seine mittlerweile schon zwei

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