Volksfest
Aussagen lieber früher als später zu machen. Der Notruf hatte natürlich zuerst eine Funkstreife aus Bernhardsau geschickt. Ein Beamter kurz vor der Pension und ein noch ganz junger, dem man aber sofort ansah, dass er sich für die klassisch österreichische Karriere entschieden hatte – und sich also die nächsten vierzig Jahre täglich nach der Pension sehnen würde.
Die beiden Supercops erklärten sofort die Konservierung möglicherweise vom Täter hinterlassener Spuren zum Gebot der Stunde und agierten unter dieser zweifellos richtigen Prämisse dermaßen umsichtig, dass es eine reine kriminaltechnische Freude war: Sie gingen gar nicht erst ins Haus hinein. Und darüber hinaus war ja das Schlimme an unberechenbaren Mördern zuvorderst einmal ihre Unberechenbarkeit. Und wer sagte, dass sich dieser hier nicht den Topf mit Krautfleisch aufgewärmt – oder, wenn ihm der Zettel von Suchaneks Mutter rechtzeitig ins Auge gesprungen war, nur einen Teil davon – und nunmehr satt und zufrieden auf die Nachspeise in Form von zwei Dienstkapperln harrte? Im Übrigen wird man sowieso sicher nicht Landpolizist, weil man zu viele Actionfilme gesehen hat.
Immerhin ließen sich Lieutenant Stone und Inspector Heller aber zu einem in aller gebotenen Vorsicht und mit gezückten Dienstwaffen absolvierten Rundgang um das Haus bewegen. Dabei war zumindest zu erkennen, dass sich der Einbrecher die Leiter, die beim Komposthaufen gelegen war, ausgeborgt und dann das Küchenfenster aus den Angeln gehebelt hatte. Das schien erstaunlich leicht gegangen zu sein, aber eben wiederum doch nicht so leise, dass es der Hund nicht gehört hätte.
Die Kriminalbeamten, die nach einer halben Ewigkeit daherkamen, grantig, weil sie ja gerade erst weggefahren waren und sie sich ihren Samstagmorgen doch ein wenig wulzendorfloser vorgestellt hatten, die gingen bei dem Kellerfenster hinein, durch das Suchanek geflüchtet war. Und sie fanden drinnen zuerst einmal die Blutspur, die schließlich unter der Wohnzimmercouch direkt bei dem wimmernden Hund endete. Sonst gab es zwar auf den ersten Blick keine Spuren, die irgendwie ins Auge gesprungen wären, doch vor allem die aufgeschlitzte Bettdecke, in die Suchanek den Angreifer eingepackt hatte, machte Hoffnung. Da könnte durchaus DNA drauf sein, meinten die Polizisten. Suchanek gab sich, nachdem er höchst widerwillig zu Vergleichszwecken ein Wattestäbchen eingespeichelt hatte, der Hoffnung hin, dass von ihm selbst wenigstens keine einschlägige drauf sein möge. Gerade im Bett ging ja gern einmal Erbgut verloren.
Und dann war da ja immer noch der wichtigste Punkt guter, altmodischer Polizeiarbeit: der menschliche Faktor. Der Zeuge.
«Kommen Sie, jetzt denken Sie doch nach, Herr Suchanek! War er groß? Klein? Dick? Dünn? Haarfarbe? Ir-gend-was!»
Suchanek strengte sich wirklich an. Aber das Ergebnis war wie so oft unbefriedigend. Nicht zuletzt deshalb hatte er ja schon vor Jahrzehnten beschlossen, dass Anstrengen eigentlich nichts für ihn war.
«Tut mir leid. Keine Ahnung. Zuerst habe ich das Licht von der Taschenlampe im Gesicht gehabt und nichts gesehen. Und dann hatte er ja die Decke über dem Kopf. Und nachdem ich die Stiegen runter bin, habe ich ihn ja eigentlich überhaupt nicht mehr gesehen.»
«Hat er vielleicht nach was Bestimmtem gerochen? Ein Parfüm? Oder von mir aus nach Kuhstall?»
«Hmm. Nach Schweiß vielleicht? Wobei … Das könnte ehrlich gesagt auch ich gewesen sein.»
«Hören Sie, Herr Suchanek: Beim Brand haben Sie als Einziger den Täter gesehen und können uns trotz dieser Beobachtung keinen sachdienlichen Hinweis geben. Und jetzt haben Sie sogar mit ihm gerauft – und wieder erfahren wir nichts, überhaupt nichts, was uns irgendwie weiterbringt. Wissen Sie, Herr Suchanek, wir sind es ja gewöhnt, dass es mit Zeugen Probleme gibt. Aber eines muss man Ihnen lassen: So ein absoluter Ausfall wie Sie ist nicht bald einer.»
Der Kommissar musste so Anfang fünfzig sein. Er war mehr breit als hoch, hatte einen strengen, grauen Bürstenhaarschnitt und erinnerte stark an Bernd, das Brot. In seinem Nacken hatte er eine tiefe Speckfalte. Suchanek stellte sich eine Verfolgungsjagd vor, bei der sich der kleine Dicke nach ungefähr vier Schritten vor einem einen Meter hohen Lattenzaun einbremste und dann schnaufend in sein Funkgerät brüllte: «Hubschrauber! Ich brauch sofort den Hubschrauber!»
Bernhard Wimmer, Chefinspektor des Landeskriminalamtes Niederösterreich, hatte
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