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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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du dich jetzt leider ein bisschen zum Nachbarn rüber. Eh nur ganz wenig. Um eine Pflugschare. Einen läppischen halben Meter. Wie viel mehr Grund hast du dann?»
    Suchanek stöhnte. «Wenn ich rechnen könnte, wäre ich kein Loser, sondern Investmentbanker.» Er hob einen Zeigefinger. «Also eigentlich ein noch größerer Loser.»
    «Auf die Art hast du im Handumdrehen um einen Hektar mehr. Weißt du, wie lange du arbeiten musst, dass du dir einen Hektar Acker kaufen kannst?»
    Das wiederum konnte sich sogar der Suchanek leicht ausrechnen: ziemlich genau sieben Trillionen Jahre.
    «Gut. Das ist ein Argument. Aber warum stört das nur den Sechser und sonst niemand?»
    «Es stört eh alle. Die anderen lassen sich halt mehr gefallen. Aber der Sechser ist nicht so der Typ, der sich was gefallen lässt.»
    Das Fenster war jetzt fertig repariert. Keller lehnte es ab, Geld zu nehmen. Bevor er ging, fragte er noch: «Soll ich dich mitnehmen zum Route?»
    So schnell hatte Suchanek schon lange nicht mehr «Nein» gesagt.
    Eine halbe Stunde später machte er eine interessante Erfahrung. An sich schätzte er Stille ja ungemein. Leider war es mit seiner höchstpersönlichen Stille vorbei, seit er einmal, um einen längeren Lieferengpass an der Grasfront nicht völlig ohne sinnvolle Freizeitgestaltung verstreichen zu lassen, so einen synthetischen Cannabisersatz gekauft hatte.
    Das Zeug war vermutlich von einem chinesischen Massenmörder, der in seiner Freizeit gerne mit dem Chemiebaukasten spielte, hergestellt worden. Und es war legal. Es hatte ausgesehen wie gepresste, kleingeschnipselte, grüne Watte und gerochen wie Spiritus. Zwei Eigenschaften, die an sich jedem vernunftbegabten Menschen auf einem deutlich über Zimmerlautstärke liegenden Niveau mitgeteilt hätten: «Rauch! Mich! Nicht!»
    Das hatte Suchanek irgendwie überhört. Aber zum Ausgleich hatte er seitdem wenigstens diesen gleißend hellen Dauerton links im Kopf. Er hatte einmal gelesen, dass Bono und The Edge von U 2 ebenfalls beide Tinnitus hatten. Nun war er es den beiden zwar nicht neidig, dass sie die Jahrhundertidee gehabt hatten, ihr Leiden auf CD s für alle hörbar zu machen, und damit tonnenweise Geld scheffelten. Aber so richtig tröstlich fand er es dann auch wieder nicht.
    Die Stille, die, von den paar Quadratzentimetern hinter seiner Schläfe einmal abgesehen, flächendeckend Platz griff, als er das Route  66 b betrat, schätzte Suchanek aber eher weniger. Ging sie doch Hand in Hand mit ungeteilter Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde.
    Ein paar der vielen Männer, die da standen, waren halb nackt. Vier ganz. Manche hatten schon gelb-schwarze Fußballtrikots an, manche rot-weiße. Einige hielten Stutzen in den Händen. Andere angejahrte Stoppelschuhe. Was sie aber alle – abgesehen von der in so gut wie allen Fällen gänzlich unerwiderten Liebe zum Fußballspiel – gemeinsam hatten, war Suchanek. Sie starrten ihn wortlos an, ebenso wie die meisten von ihnen tags zuvor die verbrannte Leiche von der Johanna angestarrt hatten – obwohl die zugegeben schon interessanter gewesen war als ein überlebender Suchanek.
    «Hallo», sagte Suchanek zaghaft.
    Immer noch Stille.
    Dann stand der Spakowitsch Edi auf. Und er begann, weil er das einmal in einem Film gesehen hatte und heilfroh gewesen war, dass man sich im dunklen Kino die Rührungstränen unentdeckt von den Wangen wischen kann, langsam und kräftig in die Hände zu paschen. Und da offenbar alle anderen diesen Film auch gesehen hatten, stand als Nächster der Urban Ernstl auf und als Übernächster ORF   2 , und dann einer nach dem anderen, und alle klatschen sie, zuerst im gleichen, trägen Hollywood-Rhythmus, der aber dann immer schneller wurde und schließlich in prasselndem Beifall endete.
    Bildete sich Suchanek das jetzt nur ein, dass der Sechser-Hartl mit schwer genervtem Gesicht als Letzter aufgestanden war und bestenfalls ein bemühtes Applaus-Placebo ablieferte?
    Als sie mit dieser unglaublichen Peinlichkeit endlich fertig waren, wischte sich der Spakowitsch verstohlen über die linke Wange. Und Suchanek sagte vollkommen wahrheitsgemäß: «Das wäre aber echt nicht nötig gewesen.»
    «Und ob!», widersprach der stellvertretende Feuerwehrkommandant feierlich. «Dass du, nach allem, was dir passiert ist, dem Hansi-Burli trotzdem die Ehre erweist! Und die Feuerwehr nicht hängen lässt! Respekt!»
    «Na ja, ist doch nichts Besonderes», murmelte Suchanek und wünschte sich, in Murmansk zu

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