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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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die Welt in Wulzendorf noch in Ordnung war. Da musste man schon einmal darüber nachdenken, wie man das wieder in richtigere Bahnen lenkte. Wie man sich da die Hand reichen konnte, und zwar nicht nur so wie an höheren Feiertagen in der Kirche bei der Agape oder wie dieses neumodische Zeugs hieß, bei dem dann der Pater Akwuegbu alle dazu zwang, ihren Nachbarn die Hände zu schütteln, ob sie nun wollten oder nicht. Etwas, von dem so sicher nichts in der Bibel stand, da war der Siebzehner-Stratzner überzeugt. Jedenfalls nicht in der nicht nigerianischen Übersetzung. Aber der Siebzehner war ja überhaupt mehr ein Fan vom Alten Testament. Alles, was nachher gekommen war, war ja nur mehr eine Verwässerung und Verweichlichung gewesen. Auge um Auge und aus. Da wusste wenigstens ein jeder gleich, woran er war.
    «Geht irgendwer irgendwem ab?», fragte der Dreier-Kanschitz vorsichtig. «Vielleicht sollten sich alle einmal überlegen, wann sie ihre Nachbarn zum letzten Mal gesehen haben und ob da eh alles in Ordnung ist.»
    «Denn keiner kann in Frieden leben, wenn’s dem bösen Nachbarn nicht gefällt», sagte die alte Nidetzky weihevoll, weil sie froh war, dass ihr nach einer längeren Pause endlich wieder ein Sprichwort zu einem bestimmten Stichwort eingefallen war. Anschließend kam es ihr dann doch in den Sinn, dass das jetzt irgendwie unpassend gewesen sein könnte.
    «Das ist eine Katastrophe!», befand der Siebzehner, meinte aber nicht die Nidetzky. «Wisst ihr was? Wenn wir Pech haben, haben wir morgen zehn Fernsehteams und fünfzig Schmierfinken im Ort. Dann kennen sie Wulzendorf bis nach Deutschland hinauf. Und sogar in Vorarlberg.»
    Suchanek ertappte sich bei dem Gedanken, dass sich gerade die guten Patrioten unter den Wulzendorfern so etwas Ähnliches immer gewünscht hatten. Jetzt konnten die Bernhardsäue mit ihrem alten Prtil und den dämlichen Einschusslöchern im Heimatmuseum einpacken. Wusste doch eh keiner mehr, wer das gewesen war.
    Bernhardsau war gestern. Aber Wulzendorf heute. Endlich bekam die «Wulzendorf grüßt seine Gäste»-Tafel am Ortsanfang einen Sinn.
    «Ich sag so: Dass das alles ausgerechnet dann passiert, wenn wir das ganze Dorf voll mit Zigeunern haben, kann kein Zufall sein!» Die Zwölfer-Leitnerin hatte jetzt gerade noch gefehlt. «Machen wir Schluss mit dem Volksfest und schicken wir die alle weg. Damit wir uns wieder sicher fühlen können!»
    Das war nun wiederum eine Lösung, die in ihrer Radikalität einem Mann des Ausgleichs wie dem Spakowitsch Edi missfallen musste.
    Er war bisher in kataleptischer Starre in seiner Ecke vor sich hin verzweifelt, weil er schon die ganze Zeit über befürchtet hatte, dass irgendwer genau diesen verheerenden Vorschlag machen würde: das Volksfest abzubrechen. Jetzt gar nicht so sehr wegen der Zigeuner. An die hatte er gar nicht gedacht. Außerdem: welche Zigeuner überhaupt? Nein, einfach deshalb, weil übersensible Gemüter finden könnten, es lasse sich mit jetzt schon zwei Leichen, die aufs Gemüt drückten, gar nicht mehr so super feiern.
    Nun hatte aber der Spakowitsch, ähnlich wie der Ortsvorsteher, auch eine Verantwortung zu tragen. Im Moment sogar eine größere als der Ortsvorsteher. Und noch dazu eine, um die er sich nicht gerissen hatte, aber den Kommandanten plagten jetzt, wo er auf einmal nur mehr mit einem Haufen Asche verheiratet war, natürlich andere Sorgen. Edi spielte auch mit dem Gedanken, sich anständig in den Hintern zu beißen, weil wenn er nicht so darauf gedrängt hätte, dass die Feuerwehr diesen blöden Wiedergutmachungseinsatz macht, wäre der Willi jetzt immer noch in seinem Rohr. Und, ehrlich jetzt: Was hätte das schon groß für einen Unterschied gemacht, wenn man ihn erst morgen Nachmittag oder überhaupt erst am Montag gefunden hätte? Aber nein, kaum dass sich das Dorf von dem Schock mit der Johanna ein wenig erholt hatte und ein paar Stunden vor dem Abend, der über Erfolg und Misserfolg des diesjährigen Volksfestes entscheiden würde, musste es sein.
    Andererseits, und er schämte sich durchaus ein bisschen, wenn auch nicht allzu sehr für diesen Gedanken, würde es ja wahrscheinlich nur bei den Wulzendorfern als etwas unschicklich gelten, heute Abend groß mit Alleinunterhalter Kurt abzufeiern. Denn was die Auswärtigen betraf, war der Willi ja marketingmäßig genau zum richtigen Zeitpunkt aus seiner Röhre geflutscht. Ein Volksfest in der momentanen Mördermetropole des Landes? Was ging denn da noch

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