Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
Vom Netzwerk:
zwei Wochen sehr warm, viel zu warm für Mai, das war eben das Gwirks mit der fehlenden Übergangszeit. Bei der Hitze hatte der Willi sicher nicht lang gebraucht, um mit dem Stinken loszulegen.
    Suchanek fiel ein, dass Geruch ja dann entsteht, wenn sich vom gerochen werdenden Objekt Moleküle lösen. Jeder, der den Willi gerochen hatte, hatte also ein paar Teile vom Willi auf seine Riechschleimhaut bekommen und dort zersetzt. Von den Teilen, die nicht an der Riechschleimhaut hängen geblieben waren, sondern sich gleich Richtung Lunge aufgemacht hatten, gar nicht zu reden. Suchanek beschloss aber, diesen kleinen Exkurs in die faszinierenden Körperwelten doch lieber für sich zu behalten.
    Die Gerstmeierin. Die hätte jetzt sicher ganz genau gewusst, ab wann bei der Lacke Willi in der Luft gelegen war. Aber die war nicht ins Bierzelt mitgekommen, was Suchanek auch aus einem anderen Grund bedauerlich fand: Er hätte sie da ganz gerne noch was gefragt, was vorhin in dem Trubel um Willis starken Auftritt zu Unrecht untergegangen war.
    «So», griff jetzt wieder der Ortsvorsteher ein und versuchte, wie er das von Gemeinderatssitzungen gewöhnt war, in denen er manchmal aufstand und «So nicht!» sagte, die ganze Sache hier in konstruktivere Bahnen zu lenken. «Jetzt denkt jeder einmal nach, wann er den Willi das letzte Mal gesehen hat! Vielleicht kriegen wir so zusammen, wann das ungefähr passiert sein muss. Ich für meinen Teil kann schon einmal sagen, dass der Willi am letzten Sonntag nach der Kirche nicht zum Kartenspielen ins Route gekommen ist. Oder Kurtl?»
    Der sichtlich angeschlagene Heimeder nickte stumm.
    «Geh!», sagte die Nidetzky. «In der Kirche hab ich den Willi aber noch nie gesehen.»
    «Wer redet denn von der Kirche? Natürlich war der Willi nicht in der Kirche. Aber im Café war er fast immer, zum Schnapsen. Manchmal hat er halt verschlafen, wenn es am Samstag später geworden ist. Drum haben wir uns auch nichts dabei gedacht, wie er letzten Sonntag nicht gekommen ist.»
    Der Willi war zwar schon über vierzig gewesen, aber alleinstehend und immer noch ständig auf der Piste. Dass er sich in den Discos der Umgebung eher zum Narren machte, wenn er zwanzigjährige Hasen anbriet, war zwar nur ihm allein nicht aufgefallen, aber die mit der beneidenswerten Kombination von nicht zu großem Hirn und nicht zu kleinem Selbstbewusstsein haben es ja immer und überall am leichtesten.
    «Mir ist schon letzten Freitag aufgefallen, dass die Werkstatt zu ist», meldete der Dreier-Kanschitz. «Da wollte ich meinen Keilriemen wechseln lassen, aber es war keiner da. Ich hab geglaubt, er ist halt wieder einmal rüber in die Slowakei gefahren.»
    «Das sind dann also acht Tage …» Der Stratzner war ein scharfer Rechner, da konnte man nichts sagen. «Sonst noch wer? Hat irgendwer vor dem Freitag bemerkt, dass der Willi weg ist?»
    Niemand meldete sich.
    «Mir fällt da grad was ein», sagte dann der Achter-Hiefler nachdenklich. «Der Willi ist also schon seit mindestens acht oder zehn Tagen oder so in der Röhre gelegen. Wer sagt uns eigentlich, dass nicht noch wer irgendwo herumliegt?»
    Der Hiefler hatte echt ein Talent, alle fertigzumachen, dass musste man ihm lassen. Zuerst «Huhu, jeder kann der Nächste sein, huhu!» und dann das. Und das Blöde daran war ja: Er hatte verdammt recht.
    Jetzt ist das natürlich im Dorf schon was anderes als in der so grässlich anonymen Stadt. Genauso wie bei der Alarmierung diverser Einsatzkräfte. Gerade weil sich die Menschen am Land mehr um ihre Nachbarn kümmern, gerade wegen des persönlichen Kontakts und weil man halt mehr über den anderen weiß und sich deswegen auch viel besser um ihn kümmern kann – gerade wegen all dieser großartigen Vorteile des Landlebens war ja zum Beispiel Suchanek in die Stadt gezogen. Suchanek konnte überhaupt nicht verstehen, warum die Anonymität so einen schlechten Ruf hatte. Er hatte mit seinen Nachbarn in Wien noch nie geredet. Und fehlte ihm was? Gut, nach seinem Ableben würde man ihn sicherlich nicht mehr groß beerdigen müssen, denn nach einer Liegezeit von zwei, drei Jahren in der Wohnung ist meist nicht mehr viel zum Begraben übrig. Es sei denn, es erwischte ihn doch noch bis morgen Abend in Wulzendorf.
    Aber für alle anderen hier war die Tatsache, dass der Willi mindestens eine Woche in seinem Rohr vor sich hin verrottet und währenddessen eigentlich keinem groß abgegangen war, natürlich nicht gerade ein Zeichen dafür, dass

Weitere Kostenlose Bücher