Volksfest
drüber?
Aber natürlich hätte der Edi das nie laut gesagt. Also sagte er stattdessen: «Wie sollen wir denn das jetzt noch machen? Es ist fünf Uhr Nachmittag. In drei Stunden soll der Kurtl zu spielen anfangen. Woher sollen denn die ganzen Auswärtigen so schnell erfahren, dass abgesagt ist? Das geht sich doch nie aus! Also kommen die Leute auf alle Fälle. Und was machen wir dann mit ihnen?»
Jetzt wurde die Debatte wieder lebhafter. Die Zwölferin bekräftigte ihren Standpunkt, aus Sicherheitsgründen lieber die Zigeuner aus dem Dorf zu deportieren. Der Achter war eher auf Edis Seite, und der Siebzehner meinte, man müsse schon auch bedenken, dass sich die Bernhardsäue ordentlich ins Fäustchen lachen würden, wenn die Wulzendorfer ihr heißgeliebtes Volksfest wegen ein bisschen Gegenwind abbrächen.
Dann wollte die Zwölferin eine Abstimmung machen, aber Spakowitsch wandte ein, dass ja nicht alle Wulzendorfer anwesend seien, so eine Abstimmung also nicht repräsentativ sei. Also entschied der Ortsvorsteher: Es geht weiter. Für mutiges Voranschreiten und so war er ja schließlich gewählt worden. «Wir dürfen jetzt auf keinen Fall den Kopf verlieren!», befand er.
Und dass dem Heimeder Kurtl darauf kein witziger Spruch einfiel, war ein ganz klares Indiz dafür, wie prekär sich die Lage darstellte.
Als Suchanek auf dem Heimweg wieder zur Lacke kam, wurde ihm mit einem Mal bewusst, wie riesig die Lücke war, die Willis Tod in Wulzendorf gerissen hatte. Menschlich sicherlich auch. Aber vor allem optisch. Oder vielmehr würde sie bald riesig sein. Denn niemand, auch nicht der Verschönerungsverein mit den endlosen Weiten seiner Geranienfelder, hatte das Bild des Ortes dermaßen nachhaltig bereichert wie der nunmehr unglücklicherweise abgetretene Magier der Mechanik.
Bei der Lacke stand nämlich der BMW vom Mantler Gregor. Gekauft beim Willi, mit Spoilern, Schürzen, Breitreifen und Alufelgen veredelt vom Willi. Selbst die beiden rammelnden Hasen am Heck, unter denen ein lustiges «Injection» stand, stammten mit Sicherheit aus Willis kleinem, aber umso feinerem Zubehörshop für den tiefsinnigen Jungmann, der mit jedem Herzschlag spürt, dass ein Auto eben nicht einfach nur ein Haufen Blech ist. Und solche Autos, Autos mit Seele, geschmackvoll getunte, an genau den richtigen Stellen verchromte, mit selbstbewusster Stilsicherheit veredelte Kleinodien der Mittelklasse, solche Autos gab es zuhauf in Wulzendorf.
Willi hatte mit seiner unermüdlichen Arbeit den Wulzendorfer Burschen ein Lebensgefühl gegeben: hatte sie zu bedingungsloser, anthrazitgrauer Individualität ermutigt. Ja, man konnte mit Fug und Recht behaupten, Willi hatte ihnen eine Identität gegeben. Und wenn Willi den völlig verunsicherten Achtzehnjährigen, die ihren Platz in der Welt noch nicht gefunden hatten, ihren ersten Doppelauspuff auf den Tresen gelegt hatte, dann war er für manche von ihnen sogar der Vater geworden, den sie nie gehabt hatten.
Für den Gregor vielleicht auch. Allerdings sicher nicht im nicht übertragenen Sinn. Dafür war der Willi dann doch zu jung gewesen. Wenngleich es Suchaneks Ermittlertätigkeit doch sehr erleichtert hätte, wenn die Verbindung zwischen der heiligen Johanna und dem vermutlich weitaus weniger heiligen Willi eine körperliche gewesen wäre.
Ein paar Jahre würde Willis segensreicher Einfluss in Wulzendorf ja sicher noch spürbar bleiben. Doch dann, schleichend, aber deshalb nicht weniger grausam, mit jedem Wrack, für das kein adäquater Ersatz mehr gefunden werden konnte, mit jedem Kombi, der einen Williwagen ablöste, weil die Jennifer halt schwanger geworden war und das wilde, freie Leben des auf seinen Spoilern in den Sonnenuntergang reitenden Happy-Hour-Desperados damit vorbei, mit jedem Jahr würde Willis Erbe Stück für Stück verblassen. Und schließlich endgültig vergehen, wie eine vom Wind verwehte Vipernspur im Sahara-Sand.
Suchanek parkte seine automobile Beleidigung, angesichts deren Willi unter Garantie für eine ästhetische Radikallösung unter Beteiligung einer Schrottpresse plädiert hätte, neben Gregors Wagen und stieg aus. Die wenigen Schaulustigen, die jetzt noch da waren, hatten sicherlich Willis großen Auftritt verpasst und hofften, dieses Versäumnis ihres Lebens noch irgendwie wettzumachen. Aber da standen die Chancen schlecht, denn Wimmer hatte das Gelände so weiträumig absperren lassen, dass man gar nicht mehr wirklich zur Lacke hinuntersehen konnte.
Gregor
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