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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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vorgefunden. Und mit der kam man im Gelegenheitsfall nicht arg weit.
    Genau dieses Phänomen spürte Suchanek jetzt auf seiner Stufe, die ihm mittlerweile doch sehr ans Herz gewachsen war. Und das war natürlich auch die Schuld vom Grasel, weil der so blöd geredet hatte und da eine Erwartungshaltung aufgebaut hatte, bei der man ja ein Stabhochspringer sein musste. Dass Suchanek der Einzige war, der diese turmhohe Hürde sehen konnte, stand wieder auf einem anderen Blatt. Aber das machte ja andererseits auch überhaupt nichts. Die Susi und er, die konnten ja auch einfach schön gemeinsam essen, über die alten Zeiten reden und eine Menge Spaß haben. Ohne, dass.
    «Sag schon. Was hast du?»
    «Ich …», erklärte Suchanek umfassend. Und schob dann noch elaboriert nach: «Du …»
    «So weit kann ich dir folgen», lächelte Susi.
    Dann sagte er: «Muss …»
    Er drehte sich um und ging, immer gleich zwei Stufen auf einmal nehmend, rasch die Treppe hinunter und weiter, in einem ungelenken Schnellmarsch, ein bisschen wie die olympischen Geher, nur mit weniger Hinternwackeln. Susi schaute ihm nach und sagte nichts. So lange, bis er nur mehr einen Schritt davor war, hinter der Hecke des Nachbarn zu verschwinden. Dann rief sie ihm nach: «Es bin doch nur ich.»
    Suchanek ging weiter, so schnell er nur konnte. Vorbei am Haus seiner Eltern, weiter, die Sackgasse entlang. In seinem Hirn pochte es. Suchanek, du Trottel. Du vollkommen unfähiger Idiot. Diese Frau ist die einzige, die sich jemals eine Mühe gemacht hat mit dir. Du Freak. Du Psycho. Du …
    Er musste etwas tun. Sich irgendwie ablenken. Nur nicht darüber nachdenken. Er kam zur Kreuzung. Und da fiel ihm zum Glück etwas ein, mit dem er sich ablenken und auch gleich angemessen bestrafen konnte. In einem.
    Und es hatte zwar ursprünglich nicht zum Plan gehört, aber es war schon okay, dass Suchanek kurz darauf zwar immer noch nicht wusste, wie Berberis thunbergii «Atropurpurea» eigentlich hieß, aber dafür ganz genau, wie sie, die Blutberberitze nämlich, sich aus nächster Nähe anfühlte.
    Nach dem Kratzer bei der Flucht aus dem Fenster, der Lippe und den Rippen hatte er sich an die turnusmäßige Erleidung von Schmerzen eh schon gewöhnt, und außerdem hatte er es nicht besser verdient. Mit ein wenig mehr an botanischem Wissen hätte er bei seinem Sprung in die zumindest vorderhand rettende Deckung zwar vermutlich trotzdem eher den neben Berberis thunbergii «Atropurpurea» befindlichen Prunus laurocerasus anvisiert, denn dieser, der Kirschlorbeer, hat ja keine Dornen. Aber wie gesagt: Es war schon okay.
    «Die Wahrheit wird man ja wohl noch sagen dürfen», sagte die Gerstmeierin gerade und ließ mit der Bestimmtheit ihres Tonfalls keinen Zweifel offen, dass sie selbstverständlich im Besitz dieser Wahrheit war. Wenn man sie ein bisschen kannte, und wer tat das nicht in Wulzendorf, wusste man, dass es für diesen Besitz der Wahrheit keine zeitlichen, räumlichen und schon gar keine inhaltlichen Grenzen gab. Immer. Überall. Bei allem.
    Sie sprach natürlich nicht etwa mit Suchanek. Nein, und sie hätte sicher schön geschaut, wenn sie festgestellt hätte, dass der gleich um die Ecke von ihrer Veranda in ihrem Vorgarten lag und die Blutberberitze blutig machte. Sie redete mit jemand anderem. Dass er den auf seinem Weg zur Eingangstür von der Gerstmeierin in der Veranda gesehen hatte, wie er eben im Begriff war, das Haus zu verlassen, das hatte den Suchanek ja überhaupt erst zu seinem Köpfler ins Gebüsch bewogen. Weil er sich, wie sich herausstellen sollte, nicht zu Unrecht gedacht hatte:
die
beiden? Zusammen? Warum?
    Die Gerstmeierin wohnte auch auf der Gstetten, ganz am Ortsende Richtung Haindorf. Ihr Haus lag aber nicht direkt an der Gstettenstraße, sondern war als einziges ein Stück nach hinten versetzt, als wollte seine Besitzerin damit verdeutlichen: Ich bin nicht wie ihr. Darum hatte auch nur ihr Haus einen Vorgarten. Einen, dem man ansah, dass seine Besitzerin seit ihrem Rückzug aus dem Zentrum der Macht genügend Muße hatte, ihn zu pflegen. Suchanek hatte sich ab dem ersten Schritt hochgradig unwohl dabei gefühlt, dem akkurat gekämmten weißen Kiesweg die Frisur zu ruinieren.
    An sich hatte er zur Gerstmeierin gehen wollen, um sie formlos zu fragen, wer denn nun eigentlich der Vater vom Gregor sei. Nicht, dass ihm das leichtgefallen wäre. Denn eines hatte die Gerstmeierin neuerdings mit der Susi gemeinsam: Vor ihr hatte Suchanek auch

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