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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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er auch heute Abend bemerkenswert konsequent.
    Er hatte sich zwar durchaus schon einmal überlegt gehabt, ob er diese Sneaker, denen das Leben links außen ein nicht mehr zu verheimlichendes Loch geschlagen hatte, nicht vielleicht doch in den wohlverdienten Ruhestand versetzen sollte. Was ihn wieder davon abgebracht hatte, war neben der Tatsache, dass gerade für einen unbedingten Leistungsverfechter wie ihn Frühpensionierungen ein rotes Tuch waren, auch noch, dass das Loch am bestmöglichen Platz entstanden war. Nämlich in dieser kurzen Senkrechten, die zur Sohle abfiel. Diese ideale Platzierung hatte zur Folge, dass fallende Regentropfen nicht wirklich hineinkonnten, außer bei einem Regen, der praktisch waagrecht daherkam – und wer würde bei so einem Sauwetter schon hinausgehen? Andererseits war das Loch auch wieder nicht so weit unten, dass die Tiefe einer Durchschnittslacke ausgereicht hätte, um Wasser von unten eindringen zu lassen.
    Und außerdem, das durfte man nie vergessen, war Suchanek ja total allergisch gegen diesen entsetzlichen Konsumwahn. Denn das Geld, das er dem Wirtschaftskreislauf durch Schuhverweigerung entzog, konnte nicht in Credit Default Swaps oder Bankerboni landen. Suchanek investierte sein Geld, das genau genommen nie seines gewesen war, nach streng ethischen Maßstäben. In den Fair-Trade-Marihuanahandel. Und dort unterstützte es den biologischen Landbau in holländischen Gewächshäusern. Denn schließlich haben wir ja unsere Erde nur von unseren Kindern geborgt.
    Suchaneks Jeans, die er jetzt gerade nicht zuletzt deshalb trug, weil es seine einzigen waren, hatten zwar altersbedingte Verformungen, die eine Beulenpest-Diagnose nicht gänzlich abwegig erscheinen ließen, aber zumindest schmutztechnisch den Vorteil, schon grau erzeugt worden zu sein.
    Sein T-Shirt hatte keinen Vorteil.
    Die einzig positive modische Anmerkung, die man hätte machen können, war, dass er trotz allem immer noch besser angezogen war als in der Nacht zuvor. Als er an derselben Tür gestanden war wie jetzt eben. Allerdings klopfte er heute deutlich dezenter.
    Mit der Susi war das schon was anderes. Das erkannte Suchanek sofort, wie sie aufgemacht hatte. Und es war ihm gar nicht recht. Sie trug so ein kleines Schwarzes und griechisch-römisch-Freistil um die Fesseln geschnürte High Heels. Diese Beine! Die waren ja sowieso schon immer das Beste an ihr gewesen. Und dann noch die Schminke. Oh mein Gott! Susi hatte Lippen! Und ein Dekolleté, in dem was drin war. Wo kam das denn her? War das wegen der Kinder?
    Suchanek musste entsetzt feststellen: Susi sah einfach hinreißend aus.
    Und sie sah auch nach einem bevorstehenden Date aus, das ihr offenbar ziemlich wichtig war. Aber das konnte ja nicht sein. Er war nur der Suchanek. Und er kam daher wie der Suchanek.
    «Willst du nicht reinkommen?», fragte Susi. Klarerweise eine rhetorische Frage, aber angesichts von Suchaneks sekündlich stärker werdender Verwurzelung mit der letzten Stufe da draußen auch wieder nicht.
    Das war ja oft einmal so. Das hörte man immer wieder. Da sehen sich Menschen, die sich einmal nahe waren, nach langer Zeit wieder. Sie freuen sich. Eh. Aber dann merken sie sehr bald: Es ist halt nicht mehr so wie früher. Weil sich eben leider einer von beiden geändert hat.
    Mit der Susi hatte sich Suchanek damals so gut verstanden, weil sie genauso ein hoffnungsloser Loser gewesen war wie er. Und er für seinen Teil hatte sich da jetzt auch wirklich nichts vorzuwerfen: Er war sich hundertprozentig treu geblieben. Das konnte man von der Susi leider nicht behaupten. Und dann war sie auf einmal auch noch eine Frau! Wie hinterhältig, ihn so vor vollendete veränderte Tatsachen zu stellen!
    «Suchanek? Was ist denn los mit dir? Bist du bekifft?»
    Ja. Natürlich. Aber das war nicht das Problem. Oder vielleicht schon auch ein bisschen. Suchaneks Mut in Dingen, die das Risiko in sich bargen, mit körperlichen Berührungen zu enden, war ohnehin schon im nur mit Spezialgeräten messbaren Bereich angesiedelt. Wenn er dann auch noch was gekifft hatte, und wann hatte er das nicht, dann reduzierte sein Körper instinktiv das Berührungsrisiko an der gefährlichsten Stelle noch von sich aus: Er brachte den Penis auf anatomisch hochinteressante Weise ins Körperinnere in Sicherheit. Wie das genau funktionierte, wusste Suchanek nicht. Aber er hatte bei verschiedenen Gelegenheiten die Probe aufs Exempel gemacht und dabei stets nur mehr eine leere Wursthaut

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