Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
Vom Netzwerk:
nicht alle Heiden? Vielleicht hat er gerade einen Widderkopf auf und macht irgendwo ein rituelles Blutopfer!»
    «Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde. Und ich kehre zurück ins Haus des Herrn lebenslang», jodelte der Pater weiter. «Ja, liebe Gemeinde. Dieses Wort wird nun Wahrheit an unserer Schwester Johanna und unserem Bruder Wilhelm in Christo, denn der letzte Feind, der Tod, wird sie nicht besiegen. Denn der Tod ist nicht mehr als der Durchgang zu einem neuen Leben!»
    «Na also», flüsterte Grasel jetzt, «da kommen wir ja endlich zum Thema.»
    «Viele werden sich jetzt fragen: Wo ist Gott, wenn solche schrecklichen Dinge passieren? Als Adam und Eva Gott im Garten Eden ungehorsam waren, brachten sie Schuld in die Welt – und Tod und Mord folgten bald darauf. Niemand ist davor geschützt, nicht einmal die Menschen, die Gott von ganzem Herzen vertrauten und gehorchten.»
    «Wie zum Beispiel der Willi», feixte Suchaneks privater Bibelexeget.
    «Und dann werden sich aber auch viele fragen: Was ist mit jenem, der das getan hat? Soll er auf ewig schmoren in den heißen Zungen des Höllenfeuers? Liebe Gemeinde, denkt an Matthäus, der Jesus fragt: Wie oft soll ich denn meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich vergangen hat? Siebenmal? Darauf sagt Jesus: Nein, siebzig mal sieben. Denn der wahre Glaube ist: Vergebung.»
    Kaum hatte Akwuegbu diesen Satz beendet, löste sich am rechten Flügel auch schon ein Mann aus der Menge, stieß in den Freiraum zwischen Altar und der ersten Reihe von Wallfahrern vor, wohl auch, weil er wusste, dass ihn dort jeder sehen würde. Und dann ging der Fünfer-Mantler mit raumgreifenden Schritten an dem Altar vorbei, warf dem Pater dabei noch einen langen strafenden Blick zu und verließ die Veranstaltung.
    «Oh-Oh! Das nenne ich einen starken Abgang!», freute sich Grasel. «Dem schwarzen Mann öffentlich die Gefolgschaft aufzukündigen … Was sagt da jetzt wohl die Johanna auf ihrer Wolke dazu? Wobei, an der Stelle vom Mantler hätte ich jetzt langsam auch die Nase voll von den Pfaffen. Der eine macht seiner Frau ein Kind, und der andere findet es zum Ausgleich dafür eh nicht so schlimm, dass sie jetzt tot ist.»
    Suchanek machte einen langen Hals. «Siehst du eigentlich den Gregor irgendwo?», fragte er.
    Sie suchten beide den jungen Mantler, konnten ihn aber in der Menge nicht entdecken. Und Gregors Auto war zwar für sich allein betrachtet durchaus auffällig, aber am Fußballplatz standen so viele, die zumindest ähnlich aussahen, dass auch die Fahrzeugfahndung aussichtslos blieb. Wahrscheinlich war Gregor also gar nicht erst gekommen, um für das Seelenheil seiner Mutter zu beten.
    Pater Akwuegbu war sichtlich betroffen von Mantlers Auszug. Trotzdem versuchte er, den Faden der Vergebung irgendwie weiterzuspinnen. Obwohl man annehmen musste, dass der Großteil der Gemeinde doch eher auf der Seite vom Fünfer war. Die Sache mit der Vergebung hatte es, wie alle liberalen Spintisierereien, mit der Mehrheitsfindung in Österreich nicht so leicht. Und überzeugendere Argumente, als dass es halt schon total edel war, gleich auch noch die zweite Wange hinzuhalten, konnte der Pater nun einmal nicht liefern. Aber die hatten in Wulzendorf immer schon ganz schlecht gezogen.
    Als sich Akwuegbu endlich in ein erlösendes «Amen!» geflüchtet hatte, schien er sehr erleichtert zu sein. Und dann begann er mit einer der katholischen Lieblingsübungen: dem Schuldbekenntnis.
    «Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen …»
    Und die Textsicheren unter den Wallfahrern, also quasi alle, stimmten mit ein:
    «… und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe. Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld.»
    Bei dieser eindringlichen Passage klopfte sich die Gemeinde drei Mal gegen die Brust, um die Schwere der Schuld zu verdeutlichen.
    «Da!» Grasel stieß Suchanek in die immer noch heftig schmerzende Seite und zeigte auf die Menge. «Ich hab ihn. Dritte … nein, vierte Reihe. Links.»
    Suchanek hätte schwören können, dass der Heimeder vor fünf Minuten noch nicht da gestanden war. Aber jetzt war er jedenfalls da und hämmerte sich heftig auf die schuldgeschwellte Brust.
    Grasel schaute Suchanek in die Augen. «Letzte Chance zum Kneifen. Willst du das wirklich durchziehen?»
    Suchanek nickte. Er war haltlos nervös und schwitzte wie ein Eishockeytormann unter

Weitere Kostenlose Bücher