Voll daneben
Rasierer, der so verrostet ist, dass man davon Tetanus kriegen kann.
Ich wundere mich, wie sehr Dad bei Pete danebenliegt, und frage mich, ob er vielleicht bei mir genauso danebenliegen könnte. Während ich darüber nachdenke, versuche ich, aus einem elektrischen Teekessel, dessen Stecker ich in die Steckdose gesteckt habe, ein Bügeleisen zu machen, und ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich abgelenkt bin, oder daran, dass es mir im Blut liegt, alles zu vermasseln – jedenfalls rieche ich plötzlich Rauch. Als ich hinsehe, qualmt der Pappkarton, den ich als Bügelbrett benutzt habe. Vor meinem Zimmer fragt Tante Pete: »Riecht es nach Rauch?«
Ich stürze mich auf den Teekessel und reiße ihn hoch, bevor der Karton in Flammen aufgeht, aber da steckt Peter schon den Kopf zur Tür herein und sieht, was fast passiert wäre.
»Entschuldige«, sage ich hastig. »Es war ein Unfall. Es wird nicht wieder passieren. Ehrenwort.«
Meine Worte klingen irgendwie hysterisch, und Pete macht ein besorgtes Gesicht.
»Ist schon in Ordnung«, sagt er. »Es ist ja nichts passiert.«
Nichts passiert?
Ich nicke, aber ich starre den rauchenden Pappkarton an und frage mich, ob das ein Omen für das ist, was folgt.
10
EDDIE BRÄT MIR ZUM FRÜHSTÜCK EIN EIWEISSOMELETT und macht den anderen Hamburger zum Mittagessen. Tante Pete legt Siebziger-Jahre-Musik auf, die ich nicht ausstehen kann, aber ich tue so, als würde sie mich nicht stören. Dino sitzt auf der Couch und macht zu allen Songs den Drummer, und Tante Pete weicht nicht von Orlandos Seite. Sie halten Händchen, und ich vermute, dass Orlando sein Freund ist. Ich versuche, mir nicht vorzustellen, wie sie sich küssen, während ich Pete zuhöre, der mir von Pineville erzählt.
»Es ist ziemlich klein«, sagt er. »Wir haben ungefähr neunhundertsiebenundfünfzigeinhalb Einwohner – der Halbe bist du, weil du ja nur vorübergehend hier lebst. Und ich werde nicht lügen und dir erzählen, man könnte hier eine Menge unternehmen. Mehr als alles andere gibt es hier viele Kühe und Maisfelder ...«
»Gibt es ein Einkaufszentrum?«, frage ich.
»Nicht hier in Pineville.«
»Irgendwelche Geschäfte?«
»Äh, nein.«
»Wir haben einen lokalen Radiosender«, steuert Eddie bei.
Tante Pete grinst. »Vielleicht nehme ich dich mal mit zur Arbeit«, sagt er, als wäre ich ein Fünfjähriger. »Er ist zwar ein paar Orte weiter, aber der Sender wird im ganzen Tal ausgestrahlt. Vielleicht nach dem Mittagessen ...«
Ich versuche, nicht gelangweilt zu wirken.
»Was für Hobbys hast du, Liam?«, will Orlando wissen.
»Surfen«, murmele ich mangels einer besseren Antwort.
Eddie räuspert sich und stellt mir mein Omelett hin, ohne etwas zu sagen. Die Jungs tauschen Blicke aus, und ein langes, peinliches Schweigen entsteht.
»Also, wie stehen die Dinge zu Hause?«, fragt Pete schließlich. Dann verstummt er, als hätte er zu spät gemerkt, was für eine bescheuerte Frage das ist.
»Äh ... gut. Abgesehen davon, dass ich rausgeworfen wurde. Dad hat einen weiteren Preis als Geschäftsmann des Jahres bekommen. Moms Boutique läuft super. Sie verkauft jetzt außer der Kleidung auch eine Menge Schmuck. Die Leute kommen den ganzen Weg aus Manhattan, um bei ihr einzukaufen.«
Tante Pete nickt. »Deine Mutter konnte schon immer gut mit Menschen umgehen.«
»Was ist mit dir, Liam?«, fragt Dino mit seiner tiefen Stimme. »Worin bist du gut?«
Das muss eine Fangfrage sein. Wäre ich in irgendwas gut, dann wäre ich wohl kaum zu Hause rausgeflogen, oder? Ich überlege, ob ich Dads Spruch ›Liam ist sehr beliebt‹ übernehmen soll, aber stattdessen zucke ich nur mit den Schultern.
»Wie sehen denn deine Pläne für die Zukunft aus?«, fragt Orlando. Ich vermute, was er wirklich fragen will, ist, ob ich plane, ein fauler Versager zu sein, der sich das ganze Jahr über von Tante Pete durchfüttern lässt. Da Orlando Petes Freund ist, will er damit vielleicht auch wissen, wie lange es dauern wird, bevor sie wieder ihre Privatsphäre haben.
Ich schenke ihm meinen aufrichtigsten Blick. »Gut, dass du fragst«, sage ich, »denn du – ihr alle – sollt wissen, dass ich mir viel vorgenommen habe. Ich habe mir vorgenommen, mich so verantwortungsbewusst wie möglich zu benehmen, damit mich mein Vater bald wieder nach Hause kommen lässt. Ich glaube, das hier sind so was wie kurze Ferien. Und hoffentlich schmerzlose.«
Das ist zwar eine absolute und komplette Lüge, aber ich glaube, es
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