Voll daneben
mich.
»Glaubst du, ich hätte nicht gehört, wie du dich gestern Abend mit deinem Onkel gestritten hast?«, fragt sie nach einer Weile. »Dein Vater ist nicht gekommen, du hast beschlossen, die Schule abzubrechen, und jetzt willst du zur Army gehen. Zur Army ?«
Ich lasse mich nach hinten auf ihr Bett fallen und wende mich ab, doch sie redet weiter.
»Liam«, sagt sie, »wir wissen beide, dass es gar nicht darum geht, ob ich dich mag oder nicht.«
»Wie meinst du das?«, murmle ich.
»Klar – am Anfang konnte ich dich nicht ausstehen. Aber ich bin es nicht, die du unbedingt beeindrucken willst. Und weißt du was? Vielleicht mag dein Vater dich wirklich nicht, aber du musst aufhören, dir so viele Gedanken darüber zu machen, was er von dir hält, und anfangen, dir mehr Gedanken darüber zu machen, was du selber von dir hältst. Sonst wirst du für immer auf der Suche nach etwas sein, das du nie finden wirst. Ich weiß, es klingt hart, aber du musst loslassen.«
Ich schweige lange. Schließlich steht Darleen auf und geht an ihr Schmuckkästchen.
»Ich hab das hier noch nie jemandem gezeigt«, sagt sie und holt ein zerknittertes Stück Papier heraus. »Das ist der Brief, den meine Mutter zum Abschied auf dem Küchentisch hinterlassen hat.« Sie wirft ihn aufs Bett, und ich hebe ihn auf.
Ich halte ihn fest in der Hand. Dann streiche ich das Papier glatt und lese ihn zweimal.
»Ich zeige ihn dir nicht, damit du Mitleid mit mir hast. Ichmöchte, dass du ihn liest, weil es darum geht, wie sehr sie mich liebt. Kannst du dir vorstellen, wie jemand so etwas schreiben kann und dann zur Tür rausgeht in dem Wissen, dass er nie mehr wiederkommt?«
»Glaubst du es nicht? Ich meine, dass sie dich liebt?« Meine Stimme ist heiser und brüchig, und ich kann in der Dunkelheit kaum erkennen, wie Darleen die Achseln zuckt.
»Ich weiß nicht«, sagt sie. »Aber das ist alles, was ich habe, und ich muss lernen, damit umzugehen.«
Ich lege mich wieder hin und schließe die Augen.
»Hör mal«, sagt sie. »Alles, was ich über dich gedacht habe – darin habe ich mich geirrt. Ich dachte, du wärst genauso wie Joe und Nikki und alle anderen, aber du bist anders.«
»Aber ich bin so wie sie«, sage ich. »Ich bin sogar noch schlimmer als sie. Joe und Nikki sind gar nicht so schlecht, wenn man sie näher kennt, und wenigstens machen sie alles richtig. Ich bin beliebt und oberflächlich und dumm und ...«
Darleen runzelt die Stirn. »Liam, deine Schaufensterdekoration in Eddies Geschäft war ... Na ja, ein Dummkopf hätte sich so etwas niemals ausdenken können.« Sie berührt mich am Arm. »Glaub mir, du hast Talent.«
Sie lehnt sich auf dem Bett zurück und liegt jetzt neben mir.
»Ich werde dir noch was sagen, aber wenn du jemals weitererzählst, dass ich so nett sein kann, dann wird so etwas nie wieder passieren.«
Ich mache die Augen auf.
»Was denn?«
»Du bist in Ordnung, Liam«, sagt Darleen. »Lass dir weder von deinem Vater noch von mir oder von sonst irgendjemandem einreden, du wärst es nicht.«
Sie nimmt meine Hand und hält sie fest, und eine ganze Weileliegen wir bloß nebeneinander da und sagen nichts. Schließlich steht sie auf, zieht mich von ihrem Bett hoch und führt mich zum offenen Fenster.
»Ich weiß, du wünschst dir etwas anderes«, sagt sie. »aber das Licht in eurem Wohnzimmer ist gerade angegangen. Ich glaube, du solltest mit deinem Onkel reden. Er mag dich wirklich.« Sie hält inne. »Man kann Liebe nicht erzwingen, Liam. Man muss sie einfach nehmen, wo immer man sie kriegen kann.«
Ich schaue aus dem Fenster auf Petes Mobilheim und weiß, dass sie recht hat.
50
AM NÄCHSTEN MORGEN liege ich im Bett und lasse mir Darleens Worte durch den Kopf gehen.
»Man kann Liebe nicht erzwingen, Liam. Man muss sie einfach nehmen, wo immer man sie kriegen kann.«
Ich denke an meinen Vater, und dann denke ich an Tante Pete in seiner Glam-Rock-Stretchhosen-Aufmachung, und an die Jungs mit ihrer Band, die Hits aus den Siebzigern spielt.
In meinem Kopf pocht es laut, und irgendwann scheppert der Wecker neben meiner Matratze. Ich schalte ihn ab, aber ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan.
»Bist du wach?«, fragt Pete. Er steht in seinem grünen Lieblingskimono und den orangen Socken im Türrahmen. Ich nicke langsam.
»Ich bin wach.«
Pete runzelt die Stirn.
»Du siehst nicht so aus, als wärst du wach. Du hast es dir nicht anders überlegt, oder?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein. Ich habe
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