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Voll Speed: Roman (German Edition)

Voll Speed: Roman (German Edition)

Titel: Voll Speed: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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Problem, und du musst uns sagen, was wir machen sollen.«
    Minerva richtet ihren Bannstrahl auf Rocky, was jedoch bei meinem Bruder keinerlei Wirkung entfaltet. Ist wie der Regentropfen, der sich seinen Weg durch das Blätterdach gesucht hat und jetzt an ihrem Gefieder abperlt. »Ihr wollt das Orakel befragen«, stellt sie fest.
    Damit erwischt sie Rocky auf dem falschen Fuß. Wenn er wüsste, wer oder was ein Orakel ist, vielleicht … Aber so: »Ich scheiß auf dein Orakel«, stellt er klar. »Sag uns, was wir mit unserem Bruder machen sollen, und gut is.«
    Aus den Augenwinkeln unserer gesenkten Häupter wechseln Rufus und ich einen Blick: So wird das nichts.
    »Sonst gibt’s auf die Fresse«, fügt Rocky hinzu.
    Schweigen. Regen, der auf Blätter trifft, eine S-Bahn, die an uns vorbeizieht und im Tiergarten verschwindet.
    »Entferne er sich«, sagt Minerva.
    Rocky begreift nicht, dass er gemeint ist. »Bist du bescheuert oder was?«, fährt er die Eule an und deutet auf den bewusstlosen Nick. »Wie soll’n der sich entfernen? Der kann doch nicht mal stehen.«
    »Rocky«, zische ich.
    »Echt mal, jetzt: Was soll der Scheiß?«
    »Rocky!«
    »Was?«
    »Die meint dich. Tu uns allen den Gefallen und verpiss dich für’n Moment.«
    »Ich soll was?«
    Er drängt nach vorne, doch Konrad und ich verstellen ihm den Weg.
    »Rocky!«, sage ich und hebe zur Verdeutlichung eine Klaue, »Stopp! Eule nicht hauen!«
    Mein großer Bruder sieht mich an, als sei ich der Idiot von uns beiden. »Wer – ist – hier – der – Clanchef?«
    »Du, aber …«
    Autsch! Bevor ich ein weiteres Wort einwenden kann, hab ich eine Schelle kassiert, und das Fiepen in meinem Ohr ist zurück.
    »Noch was, das du mir sagen willst?«, fragt Rocky.
    Ich gebe den Weg frei: »Viel Spaß.«
    Minerva blickt ungerührt in die Ferne, als Rocky vor sie tritt, zu ihr aufsieht und seine Fäuste in die Hüften stemmt. »Ey, Kauz, was is jetz?«
    Rocky bückt sich, zieht einen blauen Deoroller aus dem Efeu hervor und holt aus. Im nächsten Augenblick trudelt Minerva auch schon von ihrem Baumstumpf und klatscht ins nasse Dickicht. Bevor sie auch nur Gelegenheit hat, auf die Beine zu kommen, ist Rocky bei ihr, kauert über ihr, hat sie am Hals gepackt und schüttelt sie wie eine Schneekugel. Dabei drückt er so fest zu, dass seine Bizepsader hervortritt.
    »Schnabel auf!«, brüllt er, »Sonst gibt’s heute Abend Hühnerfrikassee.«
    Minervas Kehle entringt sich ein Röcheln, und ihre ohnehin unnatürlich großen Augen treten aus den Höhlen. Schön sieht das nicht aus.
    »Also!«, Rocky drückt noch stärker zu. »Ich zähl bis drei!«
    Jetzt wird es spannend, denke ich. Bis drei kommt er selten. Alles nach zwei ist Glücksache.
    »Eins!«
    Minerva stößt ein weiteres Röcheln aus. Aus den Schnabelwinkeln tropft Magensaft.
    »Rocky?« Das kommt von mir.
    »Ruhe dahinten! Zwei!«
    Minervas Röcheln erstirbt langsam. Ein Schauer durchläuft ihr Gefieder wie eine Böe.
    »Rocky!« Ich schon wieder.
    »Ruhe, sag ich! Ähhh. ZWEI!«
    »Rocky!!«
    Endlich dreht er sich zu mir um.
    »Wie soll sie dir was sagen, wenn du ihr die Kehle zudrückst?«
    Rocky blickt auf die Faust, die Minervas Hals umschlossen hält. »Ht … Ht … Ht …«, macht es zwischen seinen Krallen. Schließlich gibt er Minerva frei.
    Was jetzt geschieht, ist ziemlich bemerkenswert. Die weise Eule benötigt nicht mehr als ein halbes Dutzend Atemzüge, um ihre Augen in den Kopf zurücksinken zu lassen, auf die Beine zu kommen, einmal ihr komplettes Gefieder zu richten, sich den Hals einzurenken und zurück auf ihren Baumstumpf zu flattern. Von dort blickt sie in die Ferne, als sei nichts geschehen, schließt die Augen, öffnet sie, blickt weiter in die Ferne – bis plötzlich ihre Stimme ertönt: »Stellt eure Frage.«
    Rocky ist so perplex, dass ihm auf die Schnelle keine Frage einfällt.
    Vorsichtig schiebe ich mich daher an ihm vorbei und blicke ehrfürchtig zu Boden. »Also, unser Bruder hier«, sage ich, »dem geht es echt beschissen. Und jetzt fragen wir uns: Was sollen wir machen?«
    Schweigen.
    »Jacaraca.«
    Oder so ähnlich. »Was hast du gesagt?«, frage ich und mache den Fehler, meinen Kopf zu heben und direkt zu Minerva aufzublicken.
    Irgendetwas Ungreifbares geht hinter ihren Pupillen vor. Dann ist ihr Blick da, wo er am Anfang war: in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Das war’s. Der Quell ist versiegt. Das Orakel hat sich zurückgezogen.
    Fuck.
    Ich drehe

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