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Voll Speed: Roman (German Edition)

Voll Speed: Roman (German Edition)

Titel: Voll Speed: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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»Kein Blut im Urin.«
    »Was dann?«
    »Die Symptome sind neu. Irgendeine unbekannte Substanz, die jemand ins Gehege geworfen hat vielleicht …«
    In diesem Moment springt Nick von seinem Lager auf. Ich korrigiere mich: Er springt nicht auf, er schnellt wie eine Spiralfeder in die Höhe, dreht sich um die eigene Achse, landet breitbeinig auf dem Schuhkarton, die Vorderbeine wie ein Karatekämpfer von sich gestreckt. Komplett unter Strom, der Typ. An seinem Rücken und seinem Hinterkopf kleben orangefarbene Schnipsel von dem aufgeweichten Kartondeckel.
    Als Nächstes entringt sich Nicks schmaler Brust ein Kampfschrei, der einem Rothirsch imponieren würde. Er durchschlägt mit seinen geballten Klauen den Schuhkarton, macht einen Salto, landet neben dem Karton und verpasst ihm einen Sidekick, der die Pappschachtel gegen die Wand schleudert. Wir stehen wie gebannt, halten die Luft an und warten. Nicks Kopf zuckt umher wie der einer Katze mit Aujeszkyscher Krankheit. Was immer seine Augen gerade sehen – falls sie überhaupt etwas sehen: Es ist garantiert nicht, was wir sehen. Dass wir ebenfalls hier sind, merkt Nick gar nicht. Ich bin sicher, er weiß nicht einmal, wo er sich befindet.
    Ansatzlos hechtet Nick in einen Flick-Flack, katapultiert sich quer durch den Raum und kommt eine Klauenbreite vor der Wand zum Stehen. Was jetzt geschieht, darüber werden die Meinungen anschließend auseinandergehen. Sicher ist: Nick winkelt seine Vorderbeine an, als seien es Maschinengewehre, stößt einen kriegerischen Schrei aus und bohrt seine Klauen in die Wand, einfach so – zzrrrrrp! Seine Krallen verwandeln sich dabei in rotierende Bohrspitzen. Zzrrrrrrp, zzrrrrrrp, zzrrrrrrp! Als wäre die Wand ein Softeis.
    Ruck, zuck klafft ein riesiges Loch in der Wand, Nick schreit, »ich fick euch alle!«, und bricht zusammen, bevor er den Bau zum Einsturz bringen kann.
    Ma schluchzt und sackt ebenfalls in sich zusammen. Natalie, die bis jetzt noch gar nichts gesagt hat, tritt aus der Reihe, kniet sich neben ihren Bruder und legt ihm zärtlich eine Klaue auf die pochende Brust. »Ach Nick …«, flüstert sie, und an der Art, wie Rufus versucht, sich nichts anmerken zu lassen, erkenne ich, dass Natalie ihrem Verlobten noch nie »Ach Rufus …« ins Ohr geflüstert hat.
    Rocky verschränkt seine muskelbepackten Vorderbeine vor der Brust. Ich tippe ja, dass ihm das Geschluchze von Ma noch mehr auf den Zünder geht als sein bewusstlos vor ihm liegender Bruder. Mit Genöle versorgt ihn seine Frau nämlich bereits zur Genüge. Da ist Nick schon besser: Der hält wenigstens die Klappe. Was Rocky allerdings am meisten nervt, ist, untätig herumstehen zu müssen. Er ist ein Erdmann der Tat. Rumstehen und Nachdenken machen ihn fertig.
    »Was’n jetzt?«, fragt er. Unser Clanchef. Dabei müsste er hier die Entscheidungen treffen.
    Im Grunde weiß jeder der Anwesenden, was zu tun ist. Doch keiner spricht es aus. Also mach ich es: »Wir müssen ihn zu Minerva bringen.«
    »Och nö«, sagt Kim sofort.
    »Jetzt?«, fragt Pa, der sofort einen Hinterhalt argwöhnt.
    Ma schluchzt.
    Natürlich bringt auch Rufus einen Einwand vor: »Der Zoo hat doch noch nicht mal geschlossen.«
    Ich beuge mich über den bewusstlosen Nick: »Gib mal deine Funzel«, sage ich und strecke meine Klaue aus.
    Die Babyuhr ist nämlich nicht das einzige Accessoire, das Rufus neuerdings spazieren führt. Hinzu kommt ein um den Bauch gespanntes Klettband, von dem alle möglichen Utensilien herabbaumeln. Tatsächlich sieht er verdammt nach einem wandelnden Weihnachtsbaum aus. Er löst einen Mini-Karabiner und reicht mir seine LED-Leuchte. Das Ding ist hell wie ein Blitz, doch als ich damit Nicks Pupillenreflexe teste, passiert … nix. Keine Reaktion.
    »Wenn wir warten, bis der Zoo schließt«, sage ich, »dann brauchen wir gar nicht mehr zu warten.«
    Nach diesem Satz münden Mas Schluchzer endlich in artikulierte Worte: »Ich hab gewusst, dass so was passieren würde«, schnieft sie.
    »Also was jetzt?« Der kommt von Rocky, der nicht kapiert hat, was ich gerade gesagt habe.
    »Also los«, sage ich.

    Rufus pinkelt sich um ein Haar auf die Füße, als Rocky entscheidet, dass er mithelfen soll, Nick zur Fasanerie hinüberzutragen, was bedeutet, sich außerhalb des Geheges durch den Zoo zu bewegen, noch dazu am helllichten Tag. Aber so, wie Natalie zu ihm aufblickt, kann Rufus sich unmöglich eine Blöße geben. Sei mein Held, scheinen die Augen seiner Angebeteten zu

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