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Voll Speed: Roman (German Edition)

Voll Speed: Roman (German Edition)

Titel: Voll Speed: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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sagen. Nur ein einziges Mal. Dann lege ich vielleicht auch dir meine Klaue auf die Brust und flüstere dir lieblich verdorbene Dinge ins Ohr. Also schluckt er zweimal trocken und greift sich Nicks Vorderbein.
    Rufus und Konrad an den Vorder-, Rocky und ich an den Hinterbeinen, schleppen wir Nick durch den Geheimgang zum Flamingogehege hinüber. Von hier an wird es jedoch kompliziert. Um zur Fasanerie zu gelangen, müssen wir am Hühnerhaus vorbei, über den Steinbockfelsen, durch das Tapirgehege, entlang des Flusspferdhauses, hinein in die Antilopenfreianlage und schließlich einmal rund um das Vogelhaus. Glücklicherweise hat der Himmel sich zugezogen und ein fieser Nieselregen eingesetzt. Wenn das passiert, leert sich der Zoo im Handumdrehen. Es sind also nur noch wenige Besucher unterwegs, und die kündigen sich bereits von weitem durch ihre Regenschirme an.
    Bis zu den Steinböcken läuft alles wie geschmiert. Dann allerdings erleben wir auf dem rutschigen, regennassen Felsen einen Beinahe-Absturz und müssen mit ansehen, wie Rocky an drei Krallen über dem Abgrund baumelnd seinen bewusstlosen Bruder vor einem Sturz in die Tiefe bewahrt. Anschließend plädieren zumindest Rufus und Konrad dafür, unsere Mission aufzugeben – bevor Nick uns alle mit in den Tod reißt.
    Wie immer jedoch, wenn es nicht darum geht nachzudenken, läuft Rocky zur Hochform auf: »Rückwärtsgang könnt ihr vergessen«, verkündet er und erstickt damit jeden rationalen Einwand. Und siehe da: Es gelingt uns tatsächlich, unbemerkt und unverletzt bis zur Fasanerie zu gelangen.
    Unser eigentliches Ziel ist übrigens nicht die Fasanerie an sich, sondern ein abgesägter Baumstumpf im äußersten Winkel des Zoos. Hier, zwischen ICE-Trasse und Landwehrkanal, sitzt Minerva. Vielmehr: Hier residiert sie. Und orakelt. Mit beispiellosem Hochmut. Steinkäuze sind ja allgemein eine beeindruckend arrogante Spezies, Minerva allerdings ist ihre ungekrönte Königin. Sie hat so beharrlich und über so viele Jahre hinweg das Gerücht gestreut, sie entstamme einer Eulenlinie, die direkt bis auf die griechische Göttin Athene zurückreiche und über Generationen den berühmtesten Philosophen zur Seite gestanden habe, dass diese Information von niemandem mehr in Zweifel gezogen wird.
    Rufus will herausgefunden haben, dass es sich angesichts ihrer Färbung – dunkles Schokoladenbraun mit kräftig weißer Fleckung – bei Minerva unmöglich um eine griechische Eule handeln kann, sondern dass sie wahrscheinlich einer haitianischen Linie entstammt. Ich habe allerdings mit ihm vereinbart, diese Information unter Verschluss zu halten. Wozu Minervas Lebenstraum zerstören? Das würde am Ende nur dazu führen, dass der Quell ihres Orakels versiegt. Ihr Orakel nämlich funktioniert. Das wissen alle. Egal, wo die weise Minerva nun in Wahrheit herstammt.
    Da sitzt sie also auf ihrem Holzstumpf, über sich ein muschelförmiges Blätterdach, das den Regen von ihr abhält, während uns das Wasser von den Nasen tropft. Mit ihren gelben Glubschaugen glotzt sie in die Ferne, als könne sie irgendwo am Interconti die Zukunft lesen. Wie bei Orakeln üblich, ist alles streng ritualisiert. Bei Minerva sieht das so aus: Du musst sie ansprechen. Dabei musst du dein Haupt neigen und die Erde anstarren. Allerdings darfst du sie erst ansprechen, wenn sie dich ansieht. Wir stehen also im Regen, Nick wie eine Opfergabe vor ihrem Baumstumpf abgelegt, und warten, bis sie ihre gelben Augen auf einen von uns richtet. Rocky verschränkt erst die Vorderbeine vor der Brust, dann kratzt er sich in der rechten Ohrmuschel, dann in der linken, anschließend am Hintern. Als Nächstes fängt er an, mit den Füßen zu scharren.
    »Gleich gibt’s auf die Fresse, Kauz«, nuschelt er.
    »Reiß dich zusammen, Rocky«, flüstere ich.
    »Und halt die Klappe«, ergänzt Rufus. »Ein Steinkauz hört auf dreihundert Meter eine Maus husten.«
    »Na, dann weiß sie eben jetzt, dass es gleich auf die Fresse gibt«, erwidert unser Clanchef. »Schaden kann’s nix.«
    In diesem Moment trifft mich Minervas Blick, und es ist, wie von einem Bannstrahl getroffen zu werden. Keine Ahnung, wie sie das macht, jedenfalls sinke ich ratzfatz auf die Knie, neige mein Haupt und starre zu Boden.
    »Ehrwürdige Minerva«, setze ich an, komme aber nicht weiter, weil Rocky mich zur Seite schiebt.
    »Ich mach das«, entscheidet er und wendet sich der Eule zu. »Pass auf, Minerva: Keine langen Faxen jetzt. Wir haben ein

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