Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
einen Termin um acht Uhr.« Auf der Schwebebahnbahnhofsuhr ist es zwanzig vor acht. Ich denke sofort: Der kommt doch zu spät, und will die Schüler darauf hinweisen. Die gucken aber zu konzentriert. Bilal und Abdul diskutieren leise, ob Ivan nicht genau wie Hakan aus der Parallelklasse aussieht. Als die Bahn kommt, ist es bereits siebzehn Minuten vor acht. Stellvertretend für Ivan werde ich unruhig. Nur noch siebzehn Minuten, na ja, da muss das Arbeitsamt aber direkt an der Station liegen. Wenn er jetzt noch zu Fuß gehen muss …
Die Hakan-oder-nicht-Hakan-Diskussion weitet sich aus. Ich habe Angst, dass die Schüler nicht mehr richtig zuhören. »Habt ihr gehört, wie viele Bewerbungen er abgeschickt hat?« Die gesamte Klasse im Chor: »Dreißig!«
Dann wird Michelle gezeigt. Fatma: »Frau Freitag, was ist Floristin?« Ich erkläre es.
Dann wieder Ivan. Im Kommentar heißt es: »Währenddessen ist Ivan durch die ganze Stadt zum Arbeitsamt gefahren. Zum dritten Mal.« Jetzt sieht man ihn gemütlich zum Arbeitsamt schlendern. ZU SPÄT! Der kommt GARANTIERT zu spät. Innerlich kriege ich mich gar nicht mehr ein. Ivan ist für mich schon untendurch. Wie kann der so gemütlich gehen. Ist irgendwo eine Uhr zu sehen, wie spät ist es jetzt im Film? Warum beeilt der sich nicht? Aus dem wird bestimmt GAR nichts mehr.
Dann der Berufsberater. Brille, lange Haare, Zopf: Hippie. Ha, der sieht ja original aus wie der neue Kollege – der aus der Zalando-Werbung. Ich gucke zu den Schülern. Keiner sagt was. Merken die das nicht? Soll ich sie darauf hinweisen? Aber wenn ich das mache, dann verstehen die wieder nicht, was der Typ sagt. Ich schweige also, obwohl es mir sehr schwerfällt.
Dann geht es um Restausbildungsplätze. Ich stoppe den Film und frage in die Runde, ob jemand weiß, wann das nächste Ausbildungsjahr beginnt. Sie wissen es. Sie wissen auch, wann man sich bewerben muss. Sie sind echt gut informiert.
Also weiter. Im Film sieht man Jugendliche, die an einem Berufskolleg ihren Abschluss verbessern wollen. Sie lesen irgendwas vor, alle sehen sehr gelangweilt aus, einige tragen Mützen. Äußerst bedrückende Stimmung.
»Hier, guckt, die machen das, was viele von euch auch machen wollen. Den Abschluss verbessern auf einem Oberstufenzentrum.« Schweigen.
OSZ – das ist das Zauberwort in der 10. Klasse. »Ich geh OSZ und mach Realabschluss.« Wenn man erst mal diese Entscheidung getroffen hat, dann kann man sich bequem zurücklehnen. Meine Schüler denken, dass sie den Realschulabschluss dort AUF JEDEN FALL schaffen. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Würde ich mir auch einreden.
Bei Ivan läuft es gut. Er darf in seiner Berufsschule auch mit Metall arbeiten. Und dann kommt die Szene, bei der alle voll aufmerksam sind. Ivan erzählt, wie er einem Jungen hinterhergelaufen ist, der sich dann »verletzte«. Ivan hat eine Anzeige bekommen. Seine erste Anzeige. Er denkt, dass der Richter ihm glauben wird, dass er nichts gemacht hat. Das wird noch sehr interessant. Meine Schüler werden ganz schön doof gucken, wenn sie sehen, dass Ivan aufgrund dieser Anzeige eine Woche in den Jugendarrest gehen muss.
Dann sehen wir Florian, der eigentlich zur Bundeswehr will, wie er bei einer Maßnahme einen Holzfisch feilt.
»Ah, das haben wir auch gemacht«, schreien Funda und Abdul gleichzeitig. Ja, wir haben uns letztes Jahr eine Woche lang so eine Maßnahme angesehen und dort Fische gemacht. Diese Fischfeilaufgabe scheint ein echter Klassiker zu sein.
Eigentlich läuft bis jetzt ja noch alles recht gut für die Jugendlichen.
Bisher hat meine Klasse interessiert und ohne dumme Kommentare alles über sich ergehen lassen. Marina, eine sehr schlaue und ehrgeizige Schülerin meiner Klasse, vermutet, dass Michelle gleich schwanger wird. Vom Typ her wäre diese Michelle so eine, die mit siebzehn ein Baby bekommt.
Wir sehen den Film bis zum bitteren Ende an. Nicht eine blöde Bemerkung fällt. Nicht, als Michelle aufhört, sich zu bewerben, und nur noch eine Wohnung für sich und ihren neuen Freund sucht, nicht, als Florian in einer dubiosen Nazi-Jacke vor seinem Haus sitzt und sagt: »Ich liebe mein Land, aber ich hasse den Staat.« Und auch nicht, als Ivan seinen angepeilten Abschluss nicht schafft.
Wir lachen alle, als Florian bei der Bundeswehr gefragt wird, ob er irgendwelche speziellen Fähigkeiten hätte: Computer – nein; Führerschein – nein; Klettern – nein; Skilaufen – nein; Erste-Hilfe-Schein – nein;
Weitere Kostenlose Bücher