Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
sind, auf die er sich verlassen kann, aber wenn er zu Hause ist, dann denkt er, dass wir keine Zukunft haben.«
»Und was meinst du? Habt ihr eine Zukunft?«
»Klar, ich will doch auch nicht später nur rumhängen und nichts arbeiten.«
»Aber Dschinges, ich höre hier so oft, dass den Schülern alles egal ist und ›blablabla, Hartz IV und chill’n‹ und so weiter.«
»Ach, das sagen die doch nur, um cool zu sein. Eigentlich ist denen ihre Zukunft gar nicht egal.«
Dschinges grinst mich an. Dass aus dem was wird, habe ich noch nie bezweifelt.
Der eine Typ war übertrieben begeistert von mir
»Guten Morgen, Frau Freitag, Montag und Dienstag krank, Entschuldigung vergessen, bring ich morgen, und gestern war ich bei diesem Job-Dings.«
»Guten Morgen, Abdul. Also, wo warst du gestern?«
»Frau Freitag, gestern war das Highlight in meiner Ausbildungsplatzsuche. Ich war bei so Job-Messe oder so was. Und das war voll hammer. Der eine Typ war übertrieben begeistert von mir. Er meinte: Er wird mir auf JEDEN Fall einen Ausbildungsplatz besorgen. Er meint: Ja, du bist sympathisch, kommst gut rüber und so dies, das.«
Abdul strahlt. Ich auch.
»Frau Freitag?«
»Ja, Mina?« Mina wiederholt die Zehnte. Sie hat die Realschulprüfung nicht bestanden. Sie ist sehr zuverlässig, immer höflich, nett, sozial und alles – aber sie wird wahrscheinlich auch diesmal die Prüfung nicht schaffen. Ihre Noten werden und werden einfach nicht besser.
»Mina«, frage ich, »wie war denn dein Bewerbungsgespräch?«
»Super. Er meinte: Du brauchst mir gar nicht dein Zeugnis zu zeigen – ich sehe, du bist ordentlich, höflich und zuverlässig.«
»Na, das klingt ja auch toll. Hast du denn da eine feste Zusage?«
»Frau Freitag, ich habe jetzt FÜNF Zusagen, bei verschiedenen Ärzten.«
»FÜÜÜNF?«
Mina nickt. Sie strahlt. Ich auch.
Was ist los? Scheint ja doch alles nicht so aussichtslos zu sein. Was ist, liebe Wirtschaft? Gibt es nicht mehr genug Abiturienten, die sich bei euch bewerben? Dürfen meine Schüler jetzt auch wieder auf dem Arbeitsmarkt mitspielen? Ich garantiere euch, dass sie ihre Sache gut machen werden. Obwohl sie in der Schule so oft zu spät kommen, glaube ich fest daran, dass sie sich später »auf Arbeit« ganz anders benehmen werden. Die wissen doch, dass es dann um mehr geht.
Zwei meiner Schüler scheinen also schon versorgt zu sein. Mina könnte sogar noch vier Ausbildungsplätze an ihre Mitschülerinnen abgeben. Müssen nur noch knapp zwanzig Stellen klargemacht werden.
Auf jeden Fall weisen meine Schüler einige besondere Fähigkeiten auf, nützlich für fast jeden Job:
• humorvoll
• gut angezogen
• Haare immer perfekt gestylt oder schön gebundenes Kopftuch
• gut geschminkt
• gut »solariert« (vor allem die Jungs)
• sehr sozial im täglichen Miteinander
• sehr gute Handykenntnisse
• hervorragende Computerkenntnisse, vor allem Facebook
• nicht auf den Mund gefallen
• wenn sie was interessiert, sind sie voll dabei
• wenn sie was nicht interessiert, merkt man das sofort
• sie übernehmen gerne Verantwortung (wenn auch nicht immer für ihr eigenes Leben)
• sie sind selbstbewusst, nicht unsicher oder wischiwaschi
• sie sind tolle Menschen – ich würde sie sofort einstellen
Und als Betrieb kann man damit glänzen, dass man sich einen Jugendlichen mit Migrationshintergrund geschnappt hat. Da gibt es doch bestimmt Tausende Förderprogramme vom Jobcenter oder ein paar schicke EU-Gelder.
Und das alles nur wegen Kopftuch
Die Zeitumstellung packen meine Schüler natürlich nicht. Sommerzeit – Winterzeit, wer soll denn so was mitbekommen? Jedes Mal das Gleiche. In der ersten Stunde sitze ich mit ganz wenigen Schülern da, in der zweiten Stunde fehlen immer noch acht. Fatma kommt um elf. »Fatma, es ist elf Uhr! Jetzt komm mir nicht mit der Zeitumstellung!«
»Doch, Frau Freitag, und der Bus, der hatte Ersatzverkehr, ich schwöre, was kann ich dafür? Gehen Sie gucken.« Bin ich nicht. Also gucken gegangen.
Weil so wenig Schüler da sind, kann ich mich endlich mal länger mit Einzelnen beschäftigen. Dafür bleibt ja leider kaum Zeit, wenn die ganze Meute anwesend ist. Asmaa ist heute ganz alleine. Sonst ist sie immer umringt von ihrer Gang, aber Fatma, Miriam, Elif und Funda fehlen. Also sitzt Asmaa ganz einsam am Fenster. Ich setze mich zu ihr. Wir quatschen über ihre Zukunft.
»Frau Freitag, das ist echt schwierig, einen Ausbildungsplatz zu finden,
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