Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
ich sollte mich eigentlich nicht beschweren. Durch die Dauerschwänzerei unterrichte ich seit einigen Wochen in sehr angenehmen Kleinstgruppen. Gestern kamen die Briefe an. Darin habe ich jede einzelne unentschuldigte Fehlstunde der Schüler im zweiten Halbjahr für die Erziehungsberechtigten dokumentiert. Zwei Eltern haben sich bei mir gemeldet. Zwei von über zwanzig. Was ist mit den anderen? Denken die sich auch: Lohnt sich nicht mit meinem Sohn? Lohnt sich nicht mit meiner Tochter?
Jetzt geht meiner Klasse echt die Puste aus. Besonders angestrengt haben die sich zwar noch nie. Aber mittlerweile kommen einige anscheinend gar nicht mehr aus dem Bett. Echt traurig. So jung und sich schon so aufgegeben. Ich frage mich, was sich überhaupt noch lohnt. Diese Frage müssen die Schüler beantworten. Ich gehe mal in mein Kinder-Facebook und chatte jeden einzeln an.
Jetzt geht mal von der Tür weg
Heute habe ich mich aufgeregt. Tierisch. Über einen Kollegen. So wie lange nicht mehr. Geschnauft und geflucht habe ich, so lange, bis mein Lieblingskollege mit mir einen Kaffee trinken gegangen ist, um mich wieder runterzuregeln.
Der Lieblingskollege und ich gehen also zum Ausgang. Am Schultor stehen lauter Schüler. Alles Jungs. Ich kenne alle vom Sehen, habe aber keinen von ihnen im Unterricht. Viele von denen sind in der 7. Klasse und fallen mir immer wieder unangenehm auf. Die stehen also alle vor der Tür, und wir wollen raus.
»So, Jungs, geht mal von der Tür weg, wir wollen raus.« Keiner bewegt sich. Ich bin immer noch sauer, werde jetzt sogar noch ärgerlicher. »Leute, ich bin echt NICHT gut drauf! Also geht jetzt von der Tür weg!«
Am liebsten würde ich jemanden schlagen. So was kenne ich von mir gar nicht. Ich will meine Wut irgendwie ablassen. Da ich mich nicht mit Rasierklingen ritze und auch nicht wahllos zuschlage, bleibt mir nur die Verbalität. Ich also ziemlich fies und laut zu den Vor-der-Tür-Rumstehern: »Jetzt haut mal da ab, ihr … (sehr schlimmes Wort)!« Schockstarre. Die Schüler gucken mich ungläubig an. Hat diese Lehrerin das wirklich eben gesagt? Dieses schlimme Wort? Hat die das gerade wirklich gesagt?
Mein Lieblingskollege, genauso geschockt wie die Schüler, weicht ein paar Schritte zurück: »Komm, Frau Freitag, wir gehen hinten raus.« Ich glaube, er hat Angst, dass die Schülermeute uns beim Durchgehen lynchen könnte.
»Nichts da! Wir gehen hier raus!« Ich bin vor lauter Wut wild entschlossen. Ich weiche nicht zurück! Ich werde jetzt durch diese Tür gehen, und diese Schüler werden zurücktreten und uns durchlassen.
Und so ist es dann auch. Die Schüler gehen auseinander und lassen uns durch. Immer noch verwirrt, murmeln sie etwas von »Dürfen Lehrer …« – »Hat sie wirklich …?« Und einer ruft mir noch hinterher: »Wo haben Sie denn Ihren Lehrerschein her?! Im Lotto gewonnen, oder was?!«
»Lehrerschein, hihihi«, sage ich kichernd zu meinem Lieblingskollegen, während wir zum Café latschen. »Wie lustig, die denken, man macht so einen Schein und ist dann Lehrer.«
Und plötzlich verschwindet meine Wut, meine schlechte Laune. Und noch bevor wir unseren Kaffee bestellen, tut es mir total leid, dass diese armen Jungs völlig unschuldig meinen Ärger abgekriegt haben. Haben sie echt nicht verdient. Wenn ich die morgen sehe, muss ich mich sofort entschuldigen. Und das mit dem Schein … das muss ich auch noch mal geraderücken. Wo haben Sie denn Ihren Lehrerschein her … Hihihihi.
Als ich die Jungs am nächsten Morgen in der Cafeteria treffe und mich entschuldigen will, wissen sie erst gar nicht, wovon ich spreche. Umständlich erkläre ich, dass mir mein verbaler Ausbruch vom Vortag leidtut. »Ach, Frau Freitag, Schwamm drüber. Schon vergessen.«
April, April
Kann ich Dschinges adoptieren? Der ist echt so süß. Ich gehe über den Hof und sehe ihn grinsend auf mich zukommen. Ich grinse auch und nicke ihm zu. Als ich weitergehe, ruft er plötzlich in voller Lautstärke über den Hof: »Frau Freitag, ich küsse Ihr Herz!« Kann ein Tag besser anfangen?
Und überhaupt war seine Klasse heute echt Zucker. Morgens hatte ich mir noch vorgenommen, eine Kopfschmerzattacke zu simulieren, um mich von dieser Stunde zu erlösen. Aber das mache ich ja sowieso nie. Dann ist auch alles ganz anders als sonst in der krassen Siebten von Dschinges. Die Schüler sitzen friedlich und hoch konzentriert vor ihren individuellen Aufgaben und arbeiten. Keiner spricht, herrlich. Ich
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