Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
korrigiere nebenbei die Englischarbeiten der Siebten und freue mich meines Lehrerlebens. Irgendwann kommt ein Mädchen rein und fragt, warum in der Klasse nur so wenige Leute sind. »Das ist die Hochbegabtenklasse. Die werden hier separat gefördert. Die sind zu schlau und zu gut für die normalen Klassen«, sage ich spontan, und keiner widerspricht.
Eigentlich sind es nur so wenig Schüler, weil jeder Einzelne von denen sich aufführen kann wie zehn nervige Schüler. Die machen normalerweise echt einen Haufen Arbeit. Aber heute, heute waren sie lammfromm und echt toll. Am Ende der Stunde gebe ich jedem eine Eins für die Mitarbeit. Ihrem Klassenlehrer schreibe ich auf, dass sie super waren und er sie noch mal loben soll.
Und weil der erste April ist, will ich meine Klasse mal so richtig schön verarschen. Letztes Jahr habe ich meinen Englischkurs in den April geschickt. Ich habe ihnen einen Zettel vorgelesen, so in Beamtendeutsch und mit irgend so einem offiziellen Briefkopf, dass man aus verschiedenen Gründen – Zentralabitur, blablabla, lauter Zeugs, das sie nicht kapierten –, jedenfalls hätte man die Realschulprüfungen vorverlegt. Dann habe ich die neuen Daten an die Tafel geschrieben und beobachtet, wie sie sich vor Schock in die Hosen gemacht haben: »Waaas, in ZWEI Wochen, oh Gott, oh Gott, oh Gott … das schaffe ich nie!« Das war super.
Dieses Jahr will ich meiner Klasse sagen, dass ich ihre Zwischennoten bereits erhalten hätte und mich total freue, dass sie sich ja so massiv verbessert haben. Ich habe extra lauter Phantasiezensuren in eine Klassenliste eingetragen, damit ich die dann laut vorlesen kann. Aber als die Schüler in den Raum kommen, denke ich: Das nehmen die mir NIE ab. Also lasse ich es.
Marcella begrüßt mich mit einem lapidaren »Frau Freitag, haben Sie gehört – Robbie Williams ist gestorben«.
»Echt? Wie denn?«
»Herzversagen.«
Sofort denke ich »April, April« und »darf man solche Witze machen? Mit Tod und so?«.
In allen anderen Klassen bekomme ich ein schnödes »Frau Freitag, Sie haben da was«. Jedes Mal schaue ich dann an mir runter und höre »April, April«.
Aber dann kommt Peter. »Frau Freitag, meine Mutter hat mich übelst in den April geschickt.«
»Ja? Wie denn?«
»Sie hat alle Uhren in der Wohnung zwei Stunden vorgestellt. Auch mein Handy, und als ich aufwachte, dachte ich, es ist schon halb zehn, und alle waren weg, und ich habe mich übelst beeilt, in die Schule zu kommen. Und sie hat mir sogar noch eine Entschuldigung dagelassen, dass ich verschlafen hätte. Ich war echt gestresst heute Morgen.«
Guck mal, Treppe hoch, Treppe runter
»So, ihr Lieben, jetzt packt mal zusammen, ich muss die Bilder heute zum Zensieren mitnehmen, und es klingelt gleich.«
»Frau Freitag, können wir noch ein paar Minuten weitermachen? Ich bin gleich fertig, wirklich.« Martin wimmert, bettelt und versucht, mich charmant zu umgarnen. Die ganze Stunde hat er hinten in der letzten Reihe nur Quatsch gemacht. Jetzt meint er, mit drei Minuten mehr könnte er noch alles hinbiegen.
»Bitte, Frau Freitag, nur noch ein paar Minuten.«
»Martin, ich hab Feierabend.«
»Ich fahr Sie nach Hause.« Alle kichern. Martin hat seit knapp einer Woche seinen Führerschein und wurde schon nach zwei Tagen geblitzt.
»Nein danke, Martin, lass mal. Ich muss noch schnell ins Lehrerzimmer, wenn ich wiederkomme, seid ihr aber fertig, okay?«
Irgendwie rührend, wie die Schüler auf einmal an ihren Noten interessiert sind – eine Woche, bevor ich sie abgeben muss.
Meine Klasse dagegen … die haben in zwei Tagen ihre erste Realschulprüfung, und ich habe keine Ahnung, was das werden soll. Ich prüfe zwar keinen von ihnen, hätte sie aber beraten können. Aber keiner hat mir irgendwas gezeigt. Gehört habe ich immer nur: »Fertig! Schon laaange.«
»Fast fertig.« Bei denen vermute ich, dass sie noch gar nicht angefangen haben.
»Machen Sie sich mal keinen Kopf, Frau Freitag, das wird mindestens eine Eins.«
»Alles kein Problem.«
Niemanden habe ich lernen oder sich vorbereiten sehen. Nun kann ich sowieso nichts mehr machen. Die Messen sind gelesen. Ich kann nur noch abwarten und mich überraschen lassen. Der Moment in der Zensurenkonferenz, in dem ich vorlese, dass bei mir GAR KEINER den Realschulabschluss geschafft hat, dieser Moment wird schnell vorbeigehen. Die Lehrer, die im letzten Jahr viele Realschulabschlüsse produziert haben, bekamen auch keinen Blumenstrauß
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