Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
Wirkungen sehr schwierig abzuschätzen. In einer Welt mit Vollbeschäftigung geht es ja ökonomisch um nicht weniger als die Frage, ob die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Innovationskraft ein Mehr oder ein Weniger an Wertschöpfung erzielen könnten, gäbe es die Energiewende nicht. Es geht also um eine kontrafaktische Frage, und dann auch noch um eine, die nicht die Interpretation der Vergangenheit, sondern die der Zukunft betrifft. Und es geht um die weitere Frage, ob ein etwaiger Verlust an Wertschöpfung dadurch gerechtfertigt werden kann, dass bestimmte ökologische Zielsetzungen auch wirklich erreicht werden. Im Rest dieses Kapitels werden wir versuchen, beide Fragen anzugehen, und zwar im Lichte unserer vorangegangenen Überlegungen zu der relativen Knappheit von Arbeit, Kapital und Innovationskraft. Die erste Frage – die eigentliche Frage nach den ökonomischen Kosten – ist Gegenstand dieses Abschnitts. Die zweite Frage, die in den Bereich der Sozialphilosophie hineinreicht, wird im folgenden Abschnitt 2.5 behandelt.
Zunächst also zu den ökonomischen Kosten. Startpunkt ist die Tatsache, dass die Energiewende vor allem eine massive zusätzliche Kapitalnachfrage schafft: Der Staat subventioniert Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien und finanziert dies mit Besteuerung des Konsums oder, soweit rechtlich möglich, mit öffentlicher Verschuldung. Er trifft dabei, wie wir in Abschnitt 2.2 gesehen haben, in einer Welt sehr niedriger Realzinsen mit großer Wahrscheinlichkeit auf relativ leichte Möglichkeiten der Finanzierung. Verdrängt er private Investitionen, so werden es tendenziell solche sein, die ohnehin keine allzu hohe Rendite aufweisen. 103 Die Kosten im Sinne entgangener Sachkapitalbildung in der privaten Wirtschaft und deren direkte Wachstumswirkung werden deshalb durchaus überschaubar sein. Dafür sorgt eben die globale Kapitalschwemme. Vielleicht ist sie sogar ein verdeckter Grund dafür, warum die Energiewende gerade in diesen Jahren zustande kam: Ohne es sich selbst klarzumachen, nutzten öffentliche Entscheidungsträger die Aussicht niedriger Realzinsen, um massive öffentliche Subventionsprogramme ohne allzu starke Verdrängungswirkungen anzuschieben. In den Hochzinsphasen der 1970er- und 1980er-Jahren wäre dies jedenfalls sehr viel schwerer gefallen.
In gewisser Weise „verführt“ eine Konstellation niedriger Realzinsen zu großen öffentlichen Projekten. Dies bringt eine verstärkte Gefahr der Blasenbildung mit sich, und zwar selbst dann, wenn es, wie in Deutschland ab Ende dieses Jahrzehnts, eine Schuldenbremse für die öffentlichen Haushalte gibt. Denn diese bremst nur den Staat selbst in seiner Funktion als Kredit suchender Investor. Nichts hindert ihn aber daran, durch steuerfinanzierte Subventionsprogramme der privaten Wirtschaft zu erlauben, verstärkt in „grüne“ Projekte zu investieren und sich zu diesem Zweck am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Es ist dabei offensichtlich, dass auf diesem Wege – bei mäßig rentablen Projekten – mächtige Kapitalmarktblasen entstehen können. Die Analogie zur staatlichen Förderung der Wohnungsbauprogramme in den Vereinigten Staaten der frühen 2000er-Jahre liegt auf der Hand. Auch damals sorgte der Staat durch Subventionen für eine Aufblähung des Kreditvolumens im privaten Sektor, was dann schließlich nach dem Platzen der Blase 2007/08 zur Weltfinanzkrise führte. 104
Gerade diese Gefahren machen allerdings klar: Der volkswirtschaftliche Engpass der Energiewende liegt offenbar nicht auf der Seite des Kapitalangebots. Weit schwerwiegender ist der Engpass auf der Seite der Innovationskraft. Wir haben gesehen: Sie wird zunehmend knapp. Gerade die Energiewende und ihr enormer infrastruktureller Bedarf verlangen aber nach einem kräftigen Wachstum des technischen Wissens in fast allen Bereichen des Energietransports, der Energiespeicherung und des Energiesparens. Tatsächlich reicht das derzeitige Wissen nicht annähernd aus, um überhaupt vielversprechende Investitionsprojekte zu identifizieren und umzusetzen. Es wird deshalb einer kräftigen Umlenkung nicht nur der Investitionen, sondern vor allem auch der industriellen Forschungskapazität bedürfen, um die neuen Herausforderungen mit den nötigen Innovationen zu meistern. Gerade dies ist ja auch ein Kernpunkt der technologischen Fantasie, die den ökologischen Großprojekten der Energiewende zugrunde liegt. Engagierte Befürworter sprechen deshalb auch sehr
Weitere Kostenlose Bücher