Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
gefördert – ziehen eine lange und starke Welle von Lerneffekten nach sich. Diese erlauben es, die Kosten im Bereich der Erzeugung erneuerbarer Energien drastisch zu senken und die Effizienz der Energienutzung drastisch zu steigern. Kurzum: Das Ertragsgesetz der Ökonomie ist in der „green economy“ auf lange Sicht außer Kraft gesetzt, während es in der „brown economy“ seine unbarmherzige Wirkung tut.
Was sagt uns ein solches Modell? Eigentlich nichts jenseits dessen, was wir mit gesundem Menschenverstand schon wissen: Wenn tatsächlich die Welt des neuen Wissens so asymmetrisch strukturiert ist, dass sie gerade in der grünen Technologie zu wunderbaren Steigerungen der Effizienz führt, dann liegt genau dort der Schlüssel zu einer Art „Perpetuum mobile“ des Wachstums. Gesicherte empirische Evidenz gibt es allerdings zu der behaupteten Asymmetrie nicht. Es ist natürlich legitim, an diese Annahme zu glauben. Es geht dann eben um eine Renaissance des positivistischen Fortschrittsglaubens, wie er im 19. Jahrhundert herrschte – diesmal angewandt auf die Macht der Technik im Bereich der Ökologie. Ebenso legitim ist es aber, einen solchen Glauben zu hinterfragen. Denn die Politik braucht mehr als glaubensbasierte Modelle. Und die Wissenschaft übrigens auch.
Wie stets bei großen industrie- und technologiepolitischen Experimenten handelt es sich bei der Energiewende um eine Art „Wette“: Die Politik behauptet, sie wisse besser als der Markt, wohin die Ressourcen der Gesellschaft strömen sollten. Im Falle der Innovationskraft, dem zentralen Engpass der kommenden Jahrzehnte, ist der Einsatz für diese Wette aber heutzutage besonders hoch. Denn erst nach Jahrzehnten wird sich herausstellen, ob der Staat richtig- oder falschlag, und dann wird die Umlenkung der knappen Innovationskraft längst in anderen vormals innovativen Bereichen der Wirtschaft zu einer Stagnation der Ideenproduktion geführt haben. Die Energiewende erschwert es also dem „Rest der Wirtschaft“, ihre Ideenproduktion wie in der Vergangenheit auf breiter Front fortzuführen. Dies kann für eine klassische Industrienation wie Deutschland bedeuten, dass sie ihre traditionellen Vorteile des Wissens in vielen wichtigen Produktlinien und -branchen nach und nach verliert. Sie wird zu einer Art „Öko-Nation“, mit hervorragender Energiespartechnologie, aber mit weit weniger industrieller Exzellenz in der Breite, wie sie für Deutschland in seiner Wirtschaftsgeschichte charakteristisch war.
Befürworter der Energiewende in ihrer derzeitigen Form lassen in aller Regel die Knappheit der Innovationskraft als Gefahr für die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands völlig außer Acht. In der politischen Argumentation wird dabei zumeist implizit unterstellt, die Innovationskraft sei einfach unendlich vermehrbar. In Modellrechnungen zu „green growth“ sorgen regelmäßig spezifische Annahmen für eine Struktur der Ergebnisse, die praktisch das Problem „wegdefiniert“. So unterstellt zum Beispiel ein Modell des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung 106 , dass die Umstrukturierung der Volkswirtschaft – weg von konventionellen und hin zu „grünen“ Branchen – dafür sorgt, dass die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt steigt. Dies geschieht im Modell nur deshalb, wie die Verfasser der Studie selbst einräumen, weil in der „grünen“ Branche der Erwerb und die Entwicklung neuen technischen Wissens erheblich schneller erfolgen als im Rest der Wirtschaft. Die Begründung dafür liefert eine behauptete Parallele zum enorm schnellen Produktivitätsfortschritt, der durch Lernprozesse in der Informationstechnologie seit den 1980er-Jahren erzielt wurde. 107
Warum diese Parallele bestehen sollte, bleibt völlig offen und empirisch unbelegt. Sie resultiert wohl allein aus einer Vermutung, dass eine „neue“ Branche mehr oder weniger automatisch einen überaus schnellen Lernprozess durchläuft. Es kann deshalb überhaupt nicht überraschen, dass das Modell des Potsdam-Instituts zum Ergebnis kommt, dass die Energiewende zu einer kraftvollen Wachstumsbeschleunigung führt – eben „green growth“. Mehr als das: Aus dem Modell ergeben sich sogar zwingend Argumente für eine noch stärkere Beschleunigung des Weges in die Öko-Gesellschaft, als dies die Energiewende in ihrer jetzigen Form vorsieht. Auch das ist logisch: Wer unbegrenzte Lerneffekte durch Industrie- und
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