Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
der Bevölkerung deutlich wahrgenommen, jedenfalls in jenen Regionen, die tatsächlich ein relativ hohes Maß an Förderung erhalten. 150 Über die Wirksamkeit der Programme gibt es, wie fast immer bei regionalpolitischen Maßnahmen, eine intensive kontroverse Diskussion. 151 Diese kann hier außer Acht bleiben, denn sie dreht sich fast ausschließlich um die Frage der effizienten Gestaltung im eher verwaltungstechnischen Detail. Uns interessiert dagegen vor allem die volkswirtschaftliche Bilanz. Für das letzte Jahrzehnt kann diese Bilanz aber nicht wirklich überzeugend sein, denn die EU-Regionalpolitik hat im Ergebnis weder die Blasenbildung an der Peripherie noch das anschließende Platzen der Blasen verhindern können. Im Gegenteil, manches spricht dafür, dass sie zur Blasenbildung beitrug – zum Beispiel durch die Förderung von Projekten der Infrastruktur, die der lokalen Bauwirtschaft Aufträge und Auslastung verschafften.
Tatsache ist jedenfalls: Ihre Ziele hat die EU-Politik nicht erreicht. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Grundrichtung der Förderung überhaupt geeignet ist, die zentrale Herausforderung der Zukunft anzugehen: den Rückstand in der industriellen Innovationskraft der Peripherie gegenüber dem westlichen Zentrum Europas. Dies ist bisher nicht gelungen, und zwar weder für die südliche noch für die östliche Peripherie. Dies müsste aber gelingen, will man nach Ende der Schuldenkrisen zumindest ein langfristiges Auseinanderdriften Europas in der Wirtschaftskraft verhindern. Wenn nun unsere Diagnose der Lage im Kern richtig ist, dann liegt die politische Schlussfolgerung auf der Hand: Die Europäische Union muss der Peripherie helfen, genau jene Engpässe zu beseitigen, die eine nachhaltige Stärkung der industriellen Innovationskraft behindern. Diese Engpässe liegen vor allem in der Wissenschaft und der Bildung. Es mangelt in der Peripherie an einer leistungsstarken und wettbewerbsfähigen Infrastruktur der Wissensvermittlung, vor allem in den technischen Disziplinen. Diese Infrastruktur ist aber eine notwendige Bedingung für das dringend nötige industrielle Wachstum. Sie muss zum Großteil öffentlich finanziert werden. Dies ist für die Länder der Peripherie überaus schwierig, und zwar nicht zuletzt, weil das hoch qualifizierte Lehr- und Forschungspersonal zu den international mobilsten Gruppen des Arbeitsmarkts gehört. Ohne den Aufbau dieser Infrastruktur wird aber ein Aufstieg kaum möglich sein. Es lohnt sich deshalb, etwas grundsätzlicher über diese Engpässe und Möglichkeiten ihrer Beseitigung nachzudenken.
Zunächst zur Wissenschaft mit technischer Orientierung. Das westliche Zentrum Europas verfügt in dieser Hinsicht über eine beispielhaft gute Infrastruktur: Es gibt ein dichtes Netz hervorragender Universitäten und Fachhochschulen, das permanent für einen Nachwuchs gut ausgebildeter Ingenieure und industrieaffiner Naturwissenschaftler sorgt. Ein solches Netz hat es in der südlichen Peripherie noch nie gegeben; es müsste dort weitgehend neu aufgebaut werden. In Mittel- und Osteuropa dagegen gab es ein solches Netz zu Zeiten der sozialistischen Planwirtschaft; es verlor allerdings im Rahmen der planwirtschaftlichen Isolation Schritt für Schritt den Kontakt zur Innovationsfront der Weltwirtschaft. 152 Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kam es dann zu einer Art inneren Erosion: Wegen der schlechten Besoldung in den durchweg öffentlich finanzierten Einrichtungen der Wissenschaft wandten sich begabte Forscher, soweit sie im Land blieben, zunehmend vom Wissenschaftsbetrieb ab und arbeiteten als private Dienstleister, sei es ganz außerhalb des öffentlichen Sektors oder von dort als vergleichsweise gut honorierte Berater der Wirtschaft. In weiten Teilen der mittel- und osteuropäischen Universitäten wurde noch gelehrt und verwaltet, aber nicht wirklich geforscht.
Wie ließe sich dies ändern? Klar ist, dass die Länder selbst die Restrukturierung ihrer Wissenschaftseinrichtungen voranbringen müssen, was sie auch tun. Gleichwohl stoßen sie an Grenzen, die sie allein nur schwer überwinden können. So ist es vielen Universitäten im Süden und Osten kaum möglich, europaweit (und global) wettbewerbsfähige Gehälter zu zahlen, um Spitzenforscher im Land zu halten oder ins Land zu ziehen. Der „brain drain“ vor allem von eigenen jüngeren Wissenschaftlern ist deshalb ungebremst. Und es fällt schwer, diese zurückzugewinnen, wenn sie sich im westlichen
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