Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
wirtschaftliche Zukunft der Peripherie ist vor allem, was sich in ihren eigenen Zentren und Unterzentren an industrieller Innovationskraft entwickeln könnte. Dies ergibt sich allein schon aus der Verteilung der Bevölkerung: So leben in Griechenland etwa die Hälfte der Menschen in den beiden urbanen Großräumen Athen und Thessaloniki, in Portugal rund 40 Prozent in Lissabon und Porto. Wichtiger noch ist allerdings die Ballung für das Entstehen und die Verbreitung von Wissen: Es wäre vollkommen lebensfremd, zu vermuten, dass „auf dem flachen Land“ jene Standortbedingungen entstehen könnten, die der Peripherie einen Innovations- und Wachstumsschub ermöglichen – durch industrielle Unternehmensgründungen und Direktinvestitionen. Im Gegenteil, vieles spricht dafür, dass gerade die Ausrichtung der Europäischen Union auf die allerärmsten Regionen lokale Dienstleistungen ohne Innovationspotenzial besonders bevorzugte, etwa im Bereich des Tourismus und der Wohnungswirtschaft. Es ist durchaus möglich, dass gerade diese Politik das Entstehen der Immobilienblasen des letzten Jahrzehnts befördert hat.
In dieser Hinsicht mag die Erfahrung der Deutschen Einheit für die europäische Regionalpolitik einige wichtige Lektionen liefern. Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Beginn des Aufbaus Ost zeigt sich im wiedervereinigten Deutschland sehr deutlich, dass die wirtschaftlichen Kernregionen des Ostens sich einigermaßen stabilisieren. Dies gilt vor allem für das mitteldeutsche Großstädtedreieck zwischen Dresden, Erfurt und Magdeburg mit Chemnitz, Halle/Saale und Leipzig. Dieses Dreieck hat wieder an seine frühere Stellung als industrielles Innovationszentrum Deutschlands angeknüpft, wenn auch auf erheblich bescheidenerem Niveau als vor dem Zweiten Weltkrieg. 153 Dagegen fällt es ländlichen Regionen erheblich schwerer, in der Entwicklung voranzukommen, und soweit sie sich erholen, gelingt ihnen dies zumeist nur „im Schlepptau“ benachbarter Ballungsräume, wenn diese nicht allzu weit entfernt liegen. Auch in der Zukunft wird jede weitere wirtschaftliche Erholung Ostdeutschlands ihren Ausgang in den alten (und neuen) Industriezentren nehmen. Analoges gilt in noch größerem Maßstab für die südliche und östliche Peripherie Europas.
Unseren Vorschlägen der radikalen Reorientierung der EU-Regionalpolitik lässt sich vor allem eines entgegenhalten: Sie verfestigen einen Zustand der Subventionierung vom Zentrum zur Peripherie – bis zu jenem fernen Tag, an dem die Peripherie tatsächlich einigermaßen zum Zentrum aufschließt oder zumindest bei einem Abstand zum Zentrum landet, der den erträglichen regionalen Unterschieden innerhalb der hoch entwickelten Industrieländer entspricht. Anders als die traditionelle Regionalpolitik der EU setzen unsere Vorschläge eben nicht auf die einmalige Unterstützung von Investitionen, sondern sie perpetuieren eine Förderung von Institutionen, die als Humus für künftige Innovationskraft angesehen werden, ohne dass man sicher sein kann, dass diese Kraft tatsächlich irgendwann entstehen wird. Wer ein wenig bösartig formulieren will, der könnte behaupten, unsere Vorschläge liefen auf eine Art „investive Transferunion“ hinaus. Dies lässt sich in der Sache nicht bestreiten, wenngleich man auch – terminologisch freundlicher – von einer Wachstumsunion sprechen könnte. Jedenfalls ist sie die logische Konsequenz der Erkenntnis, dass die bisherige EU-Regionalpolitik, also vor allem die Bereitstellung einer physischen Infrastruktur, in der Zukunft noch weniger als in der Vergangenheit helfen wird, die betreffenden Länder auf einen Wachstumspfad zurückzuführen. Sie mag vielleicht helfen, ein gewisses Pro-Kopf-Einkommen (und damit ein gewisses Konsumniveau) abzusichern, aber sie ist hoffnungslos überfordert, wenn es um das Ziel des Schaffens einer innovationskräftigen Industriewirtschaft geht.
Im Grunde ist unser Vorschlag eine Art offensive Reaktion auf ein langfristiges „Leben mit Ungleichheiten“, auf das sich die Nationen der Europäischen Union einstellen müssen. Es zeigt sich hier der gewaltige Unterschied zwischen dem Europa der frühen Nachkriegszeit und dem Europa von heute. Damals ging es darum, der größten Industrienation des Kontinents mit dem European Recovery Program – genannt: Marshall-Plan – auf die Beine zu helfen. Dies gelang bemerkenswert rasch und erfolgreich, und zwar mit durchaus begrenzten Mitteln, die ausschließlich einmaligen
Weitere Kostenlose Bücher