Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
Familienvater Ho wollte arbeiten und sparen, denn er glaubte an eine Zukunft für seine Familie. Vielleicht empfand ich auch deshalb so viel Sympathie für ihn, weil er in seiner Heimat so ein kämpferischer und selbstbewusster Gewerkschafter war. Wir freundeten uns an, seinen ältesten Sohn Kim zählte ich bald zu meiner Clique, eine Schwester namens Phuong gab es auch noch.
Wann immer Vietnamesen irgendwo in Not gerieten, ich war bereit zu helfen. Auch in der Disko, in der ich nebenbei arbeitete. Es gab häufiger Probleme mit Amerikanern und Franzosen, die damals noch als Soldaten in unserer Gegend stationiert waren. Vor allem den G.I.s schien nicht immer bewusst zu sein, dass der Vietnam-Krieg lange vorbei war. Eines Abends geriet eine kleine Gruppe dieser Soldatenmit zwei Vietnamesen aneinander. Worum es ging, kann ich heute nicht mehr sagen, aber mir war sehr schnell klar, dass ich dazwischengehen musste, wenn der Streit nicht eskalieren sollte. Zu dieser Zeit gab es häufig Auseinandersetzungen in unseren Lokalen. Meistens passierten sie dort, wo viele Jugendliche verschiedener Nationalitäten aufeinandertrafen. Manchmal genügten ein paar klare Worte und ein böser Blick und die Sache war erledigt. Diese Amerikaner in der Diskothek zeigten sich allerdings sehr uneinsichtig und mein Schlichtungsversuch endete in einer Schlägerei. Die G.I.s landeten, nicht unerheblich verletzt, bei der Militärpolizei und ich stand wieder einmal vor Gericht: Da saßen diese drei oder vier amerikanischen Kleiderschränke und erzählten ihre Version des Geschehens, als meinem Rechtsanwalt während der Verhandlung die Idee kam, mich aufstehen zu lassen. »Sagen Sie uns, Herr Richter, wie soll dieser Junge denn diese körperlich überlegenen Soldaten überhaupt verletzt haben?«, fragte der Anwalt mit gespielter Naivität. Als der Richter sah, dass ich mit meinen 80 Kilogramm wesentlich schmächtiger war als meine Kontrahenten, wurde das Verfahren kurzerhand eingestellt. Er wusste ja nicht, dass ich als durchtrainierter Thaiboxer in der Form meines Lebens war.
Mit den Pforzheimer Vietnamesen verbrachte ich jetzt einen Teil meiner Freizeit. Zu dieser Zeit kam ich auch häufiger auf den Sperlingshof zurück. Ich hatte dort zwei Kinder entdeckt, die ebenfalls aus Vietnam gekommen waren. Ihre Mutter war der Belastung von insgesamt vier Kindern nicht mehr gewachsen gewesen, denn sie hatte große gesundheitliche Probleme. Es kam noch schlimmer: Der Mann, an den sie in Deutschland geraten war, entpuppte sich als gewalttätiger Trinker. Es gab eine Menge zu tun! Ich musste die Unterbringungder armen Vietnamesin in ein Frauenhaus organisieren, musste sie vor diesem Trinker, der sie obendrein bestahl, schützen. Ich organisierte einen Rechtsbeistand für diese kleine, gebrechliche Frau. Und ich begann, mich stärker um die beiden Jungs zu kümmern. Sie wohnten in Zimmer 2 auf dem Sperlingshof und dort kannte ich mich aus. Lam Anh und Tuan Anh waren wie meine kleinen Brüder in diesem Kinderheim und wer hätte sie besser verstehen können als ich? Langsam, ganz allmählich, begann ein Gefühl in mir zu wachsen: Das Gefühl, für jemanden verantwortlich zu sein. Der gesundheitliche Zustand der schmächtigen Mutter verschlechterte sich, sie war Dialysepatientin und ich befürchtete, dass sie nicht mehr lange leben würde. Ich spürte ihren Wunsch, mich um ihre Kinder zu kümmern, für alle vier Kinder aber konnte ich unmöglich da sein. »Ich weiß, wie sehr du meine Jungs liebst. Aber kümmere dich auch um die anderen beiden«, bat sie mich immer wieder. Doch diesen Wunsch konnte ich ihr nicht erfüllen, beim besten Willen nicht.
Die vietnamesische Familie von Onkel Ho, wie ich ihn heute nennen darf, entwickelte sich prächtig. Onkel Ho war keineswegs ein Spitzname, der von Ho Chi Minh abgeleitet war, dem großen Führer des vietnamesischen Volkes, der im Krieg die Amerikaner in die Knie gezwungen hatte. Seine Familie nannte ihn Onkel, weil er ein Einzelkind war. In der Kultur seiner Heimat glaubte man, dass er ein besseres Leben haben würde, wenn er nicht Papa oder Vater, sondern Onkel genannt wurde. Außerdem war sein vietnamesischer Namensvetter kein Vorbild für Onkel Ho, denn unter den Kommunisten drohte den aus China stammenden Vietnamesen die Verfolgung und davor waren sie schließlich geflohen.
Mitte der achtziger Jahre hatte die Familie von Onkel Ho genug Geld gespart, um sich ihr erstes Ziel zu erfüllen: Sie eröffnete ein
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