Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
Lackiererei: »Das hat vor dir hier noch keiner gewagt!«
Natürlich profitierte ich damals von meiner Statur als Halbschwergewichtler. Je nach Trainingsumfang und Ernährung wog ich immer zwischen 80 und 82 Kilo, mein Kampfgewicht. In Momenten wie diesen wurde mir klar, dass ich kraft meines Auftretens in der Lage war, heikle Situationen für mich zu entscheiden. Ich suchte schon lange keine Schlägereien mehr, denn oft reichte schon eine kleine Drohung und es herrschte wieder Ruhe. Ich realisierte, dass meine Erfolge im Sport eine Strahlkraft auf die anderen Bereiche meines Lebens hatten. Wer Erfolg hat, kann gestalten, und ich bekam eine große Lust, mehr aus mir und meiner Umgebung zu machen. Ich wollte mehr Verantwortung übernehmen. Der Meister übrigens ist danach nicht mehr unangenehm aufgefallen.
Es war nicht etwa so, dass Porsche damals ein arbeitnehmerunfreundliches Unternehmen gewesen ist, im Gegenteil.Wir profitierten von vielen außergewöhnlichen sozialen Errungenschaften, die es in anderen Betrieben noch lange nicht gab. Ich wusste, dass ich viele engagierte Vorgänger hatte bei Porsche: Gewerkschafter, Vertrauensleute, verantwortungsvolle Betriebsräte.
1972 noch erhielten die Arbeitnehmer 18 Tage Urlaub, der sich auf drei Wochen im Sommer und drei Tage an Weihnachten verteilte. Heute freuen wir uns über 30 Tage und die waren kein Geschenk des Unternehmens. Mir fielen im Lauf der Zeit aber auch viele Annehmlichkeiten auf, die Porsche zu etwas Besonderem in dieser harten Arbeitswelt machten. Wenn zum Beispiel samstags Sonderschichten gefahren werden mussten, kam Frau Porsche persönlich. Dorothea, die Frau von Ferry Porsche, brachte den Arbeitern Würstchen und Kartoffelsalat vorbei und es waren keine kleinen Portionen. Für die Dame ein Zeichen von Solidarität und Verbundenheit, für uns Werktätige ein Beispiel für vorgelebten Unternehmergeist mit hoher sozialer Verantwortung. An Weihnachten organisierte sie Feiern für die Kinder der Werksangehörigen, auch bei den Sommerfesten fehlte sie nie. Was immer Ferry und Dorothea Porsche unternahmen, ihre Belegschaft konnte das Gefühl haben, einer besonderen Firma anzugehören.
Es dauerte nicht lange, und die Kollegen drängten mich: »Du musst unser Vertrauensmann werden!« Zwar war ich an meinem ersten Arbeitstag bei Porsche, am 1. April 1985, in die IG Metall eingetreten, aber mit diesem Begriff konnte ich wenig anfangen, so etwas hatte es in meinem Leben bisher nicht gegeben. »Du engagierst dich in der IG Metall und wirst dann unser Vertrauensmann«, empfahlen sie mir. Von Gewerkschaften hatte ich schon gehört, aber was sie machten, war mir damals völlig unbekannt. »Gewerkschafter haltenzusammen, haben eine Streikkasse und können so viel mehr erreichen hier.« Das klang damals alles interessant und plausibel, heute würde ich es sozialromantisch nennen. Denn so reibungslos sollte es mit der Wahl zum Vertrauensmann nicht werden. Vertrauensleute können gewählt oder aber benannt werden und in meinem Bereich wurde dieser Posten 1987 noch von den Gewerkschaften besetzt, ohne Wahl. Der Vertrauensmann wurde vom Betriebsrat bestimmt, aber das wollte sich überhaupt nicht mit meinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn vereinbaren lassen. »Warum kann ein Betriebstrat entscheiden, wem ich vertrauen soll?«, fragte ich meine Kollegen mit der Naivität eines noch unerfahrenen Kämpfers für Mitbestimmung und Demokratie. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass in der Satzung festgeschrieben stand, dass dieser Vertrauensmann gewählt oder bestimmt werden kann? »Das machen die da drüben immer so«, sagten die älteren Kollegen mit einem Blick zum Büro des Betriebsrats. »Das kann doch nicht wahr sein«, antwortete ich ihnen, »dann lasst uns hier eine Wahl organisieren. Mal sehen, was passiert«. Wir fanden drei Kandidaten und ich denke gerne an das Ergebnis zurück: Meine Kolleginnen und Kollegen in der Lackiererei schenkten mir 90 Prozent ihrer Stimmen! Einige sagten mir später, ich hätte deshalb so viele Stimmen bekommen, weil es vor mir noch niemanden gegeben habe, der so entschlossen für die Belange seiner Leute kämpfte. Ich war jetzt 25 Jahre alt, mein Kampf um die Weltmeisterschaft in Thailand geriet weiter in den Hintergrund, denn ich fühlte immer deutlicher, dass ich hier gebraucht wurde. Zuffenhausen statt Bangkok! Ich ging zum Betriebsrat, um meine Wahl bestätigen zu lassen. Dort war man nicht sonderlich erfreut über meinen
Weitere Kostenlose Bücher