Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
Alleingang, den ich, meinem Glauben an Gerechtigkeit folgend, organisiert hatte. »Ich bin Vertrauensmann,weil ich mit großer Mehrheit gewählt worden bin, und nicht der von euch bestimmte Mann«, klärte ich den Betriebsrat auf. Mein forscher Auftritt kam nicht gut an. Ich, ein junger, selbstbewusster und aufmüpfiger Mann, hinterfragte den Sinn veralteter Machtstrukturen. Vielleicht störten sich die alteingesessenen Arbeitervertreter auch an meiner martialischen Erscheinung. Mein Haarwuchs hätte damals noch für eine veritable Frisur gereicht, aber ich rasierte mir schon längere Zeit den Schädel. Ich mochte Kampfsport und entdeckte den Buddhismus. Ich liebte die Tradition asiatischer Krieger und ich gefiel mir in dieser Nacktheit auf dem Kopf. Ich war mir sicher, dass dieses Aussehen meine kompromisslose Entschlossenheit verstärkte. Der Betriebsrat versuchte mich zu vereinnahmen, deutlicher ausgedrückt: Er wollte mir sozusagen ein Angebot machen, das ich nicht ausschlagen konnte! »Du willst doch bestimmt hier bleiben und Meister werden«, versuchte man mich zu ködern. »Ich will nicht Meister werden; ich will, dass hier vernünftige Wahlen stattfinden.« Ich konnte knapp antworten, wenn es der Ernst der Lage erforderte und ich hielt es für einen Ausdruck von Stärke und Kompromisslosigkeit, kein Wort mehr als unbedingt nötig zu verlieren. Ich ließ mich dann von der damaligen Sekretärin Marlies Hotz aus dem Sekretariat schieben. Obwohl sie rein physisch deutlich weniger war als ich, ließ ich mich von ihr rausschieben, weil ich schon damals gespürt habe, dass sie nur das Beste für mich will. Seit dieser Zeit werden die Vertrauensleute bei Porsche nicht mehr bestellt.
In den Monaten danach begann die große IG Metall, sich für mich zu interessieren. Die Protestaktionen des fast zwei Meter großen Thaiboxers aus der Lackiererei hatten sich herumgesprochen. Meine Ambitionen, Weltmeister zu werden, ließen allmählich nach. Die Interessensvertretung für meineKolleginnen und Kollegen entwickelte sich zunehmend aufwändiger und für einen Titelkampf hätte ich mehr trainieren müssen. Beides ließ sich nicht mehr so leicht vereinbaren, wie ich gedacht hatte. Ich war in der Lackiererei einen Weg gegangen, den ich nicht mehr so einfach verlassen konnte. Ich stand bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Wort, denn sie vertrauten mir. Auch wenn das Betriebsverfassungsgesetz 1987 für mich noch so unbedeutend war wie die Satzung eines Angelsportvereins, so wusste ich doch, dass ich weiterkämpfen wollte.
Aus Bewunderung für Politiker wie Herbert Wehner und Willy Brandt war ich schon ein paar Jahre zuvor in die SPD eingetreten. Wehner, dieser geniale und angriffslustige Redner, der mit einem halben Satz eine ganze Debatte beenden konnte. Brandt, dieser große Mann des Ausgleichs, der immer für Versöhnung kämpfte. Sie waren die Idole meiner späten Jugend, als ich begann, mich für Politik zu interessieren. Bei meinen innerbetrieblichen Aktivitäten aber stellte ich einen grundlegenden Unterschied fest zwischen der Politik und der Arbeit als Gewerkschafter und daran hat sich bis heute nichts geändert. Hier bei Porsche erwartet die Belegschaft vor jeder Veränderung eine Diskussion. Sie vertraut darauf, dass der Betriebsrat und der Vorstand vor jedem Beschluss feilschen, diskutieren und streiten. Das ist ein Stück gelebte Unternehmenskultur. Danach verträgt man sich und unterrichtet die Belegschaft über die Ergebnisse. Man demonstriert Einigkeit und betrachtet die Beschlüsse als bindend. In der Politik von heute aber läuft das anders. Zuerst wird gestritten, dann kommt eine vordergründige Einigung, danach streitet man wieder. Was sollen die Bürger von dieser abgekarteten Streitkultur halten? Damit keine Missverständnisse entstehen und weil ich schon ein paar Gerüchte in diese Richtunggehört habe: Ich habe keine Ambitionen, in absehbarer Zeit in die Politik zu wechseln, aber ein bisschen weniger Lobbyismus und eine ordentliche Portion mehr Pragmatismus würde unserer politischen Klasse heute nicht schaden. Was ist das für eine Politik, deren Gelingen vorher »gescoutet« wird? Die Beschlüsse oder Reformen vorher durch Umfragen auf eine mögliche Mehrheit untersuchen lässt, nur um nachher einer möglichen Niederlage zu entgehen? Ich mag diese Unehrlichkeit nicht! Der Vergleich hinkt ein bisschen, weil die Menschheit damals noch keine Demoskopie kannte, aber wenn Moses auf Umfrageergebnisse
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