Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
häufiger höre ich von Politikern, die bereit sind, etwas abzugeben. Ich habe einen festen Glauben an unsere Sozialsysteme. Die Sozialversicherungssysteme sind die Grundpfeiler unserer sozialen Demokratie. Die Pensionsrückstellung dagegen ist eine tickende Zeitbombe. Meine Generation wird die Explosion dieser Bombe höchstwahrscheinlich nicht mehr erleben, aber wir geben die Probleme ungelöst an unsere Kinder und Kindeskinder weiter. Wenn wir der nächsten Generation diese Hypothek ersparen wollen, müssen wir jetzt handeln.
Auch über meine Bezüge ist in der Öffentlichkeit schon viel geredet worden und nicht immer ist es dabei sachlich zugegangen. Natürlich kann ich mich heute zu den sogenannten Besserverdienern zählen und ich schäme mich nicht meiner Einkünfte. Es wäre schon verwunderlich, wenn ich bei meinem Gehalt als Lackierer stehen geblieben wäre, denn ich habe mich weitergebildet und trage heute eine große Verantwortung für unsere Belegschaft. Trotzdem gibt es immer wieder Journalisten, die meine Einkünfte hinterfragen. Natürlich auch der Herr von der FAZ , der mich schon als »Wiedekings willigen Helfer« diffamiert hatte. Mir ist bewusst,dass ich nicht ins Klischeebild eines Betriebsratsvorsitzenden passe, weil ich einen geleasten Porsche fahre, über einen Dienstwagen verfüge und dunkle Dreiteiler trage. Aber muss ich deshalb auch Fragen nach der Höhe meines Gehaltes beantworten? Muss deshalb spekuliert werden, wer denn nun der besserverdienende Betriebsrat in Deutschland ist, Hück bei Porsche oder Osterloh bei VW? Vor ein paar Jahren noch bin ich naiver gewesen im Umgang mit den Medien, doch ich habe schnell gelernt und inzwischen kann ich viele Journalisten sogar verstehen. Heute weiß ich aus eigener Erfahrung, dass sich die Spekulationen um Spitzengehälter von sogenannten Gewerkschaftsbonzen in den Medien besser verkaufen lassen als die kleinen, alltäglichen Wohltätigkeiten.
Vor ein paar Jahren sprach mich einmal eine Frau an, die als alleinerziehende Mutter nicht mehr über die Runden kam, seit sie von Hartz IV leben musste. Ich hätte ihr den Hintergrund der neuen Sozialgesetze erklären können, doch ihr persönliches Schicksal blieb auch mir schleierhaft. Warum bekam diese Frau trotz ihrer erwiesenen Bedürftigkeit jetzt weniger Unterstützung, während ich als Besserverdiener Kindergeld bezog, das ich gar nicht brauchte? Mir fehlten die Worte und ich beschloss stattdessen eine kleine, unbürokratische Umverteilung. Seitdem bekommt die Frau monatlich 184 Euro von mir. Geld, das sie so dringend braucht und das ihr der Staat versagt.
Ob Gehälter, Pensionen oder einfach nur Kindergeld: Ich wünsche mir, die Medien würden einmal abseits der großen publicityträchtigen Spendengalas eine Kampagne starten, die die Besserverdienenden in diesem Land animiert, etwas von ihrem Wohlstand abzugeben. Konkret: Jeder in unserem Land, der mehr als 120 000 Euro im Jahr verdient, sollte monatlich 184 Euro an ein bedürftiges Kind spenden. Sie kennenkein armes Kind? Der Kinderschutzbund hat in seinem vor Weihnachten 2011 veröffentlichten Bericht festgestellt, dass in Deutschland 2,5 Millionen Kinder in Einkommensarmut leben müssen, 18,7 Prozent aller Personen unter 20 Jahren! Werden diese Kinder soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit haben, wenn es um Bildung und Zukunft geht? Sieht denn niemand den Zusammenhang zwischen dem Boom der Billiglöhne und dem Entstehen einer »Generation Frust« in der Industrienation Deutschland? Kinderarmut ist ein Armutszeugnis für uns alle!
1982 beschloss ich, der SPD beizutreten. Eine andere Partei wäre für mich nie infrage gekommen, auch die FDP nicht, die ja damals noch Partnerin in der sozialliberalen Koalition war. Wann immer ich Herbert Wehner, Willy Brandt und Helmut Schmidt im Fernsehen erlebte, hatte ich das Gefühl, Vorbilder zu sehen. Mir imponierte, wie sie ihre politischen Gegner allein mit der Schärfe ihrer Worte besiegten. Die Größe des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, bei der Kranzniederlegung vor dem Ehrenmal der Helden des Ghettos von Warschau in die Knie zu gehen, hat mich geprägt. Dieses Bild der Demut, diese spontane Geste als Bitte um Versöhnung des polnischen mit dem deutschen Volk verursacht mir heute, 42 Jahre danach, noch immer eine Gänsehaut. Dieser gute Mensch Brandt, der bei den Gräueltaten in Polen nicht dabei gewesen war, kniete für seine Landsleute nieder, die schuldig waren. Tauwetter mitten im Kalten
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