Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
besonders gern.«
Cam durchflutet ein unerwarteter Zorn und das Gefühl, Roberta in Schutz nehmen zu müssen. »Rotes Licht!«, bricht es aus ihm heraus. »Für mich ist sie so etwas wie eine Mutter.«
»Dann wärst du besser dran, wenn du gestorcht wärst.«
»Du hast gut reden. Ein Mündel wie du weiß ja nicht mal, was eine Mutter ist.«
Risa keucht auf und verpasst ihm eine saftige Ohrfeige. Der Schwung der Bewegung bringt sie aus dem Gleichgewicht, und sie kippt nach hinten – doch Schwester Muskelprotz fängt sie rechtzeitig auf. Er sieht Cam vorwurfsvoll an.
»Für den Augenblick ist es genug«, sagt er zu Risa. »Zurück ins Bett.«
Er hilft Risa wieder ins Bett, während Cam hilflos am Fenster stehen bleibt. Er weiß nicht genau, auf wen er wütend sein soll: auf sich, auf Risa oder auf den Pfleger, der sie ihm wegnimmt.
»Hat der Schlag gleichmäßig wehgetan, Cam?« In Risas Stimme schwingt ein gehässiger Unterton mit. »Oder fühlen die Kids in deinem Gesicht das unterschiedlich?«
»Teflon!« Ihre Worte sollen nicht haften bleiben. »Maulkorb!« Er darf nicht noch einmal auf sie losgehen. Das darf er nicht! Er atmet tief ein und stellt sich ein aufgewühltes Meer vor, das sich beruhigt und in eine spiegelglatte Fläche verwandelt.
»Ich weiß, ich habe die Ohrfeige verdient«, sagt er ruhig. »Aber pass auf, was du über Roberta sagst. Ich rede nicht unfreundlich über die Leute, die du liebst. Tu mir den Gefallen auch.«
Cam lässt Risa mehr Freiraum. Diese Veränderung in ihrem Leben muss für sie ebenso traumatisch wie wunderbar sein. Er versteht noch nicht, warum Risa ihre Haltung zur Operation geändert hat, aber er weiß ja, dass Roberta große Überzeugungskraft besitzt. Vielleicht hat die Sache ja auch mit ihm zu tun und tief unter Risas anfänglicher Abneigung verbirgt sich Neugier, ja Bewunderung für dieses Mosaik aus grundverschiedenen Teilen. Nicht das Mosaik, das die Mediziner zusammengesetzt haben, sondern das, das Cam aus den gegebenen Teilen entwickelt hat.
Eine Mahlzeit am Tag nehmen sie gemeinsam ein. »Dass ihr miteinander esst, muss sein, wenn zwischen euch beiden eine Bindung wachsen soll«, erklärt ihm Roberta. »Bei Mahlzeiten ist die Psyche besonders offen dafür.«
Er wünschte, bei Roberta würde nicht alles so klinisch klingen. Wenn sich die beiden aneinander gewöhnen, will er das nicht darauf zurückführen, dass Risas Psyche beim Essen künstlich geöffnet wurde.
Risa weiß noch nicht, dass sie seinetwegen hier ist.
»Wir dürfen nichts überstürzen«, hat Roberta Cam geraten. »Sie muss erst in die Rolle hineinwachsen und wir haben für sie ja auch noch andere Pläne. Sie ist so etwas wie eine Volksheldin, das wollen wir nutzen und eine eindrucksvolle Medienpräsenz aufbauen, ehe ihr beide öffentlich miteinander in Verbindung gebracht werdet. Das wird einige Zeit dauern. Bis dahin sei einfach du selbst, wunderbar und charmant. Nimm sie für dich ein.«
»Und wenn nicht?«
»Ich habe vollstes Vertrauen in dich, Cam.«
Bei allem, was er im Lauf des Tages macht, sind seine Gedanken bei Risa. Sie wird zu einem Faden, der sich durch alle Nähte seines Innern zieht und sie eng miteinander verknüpft. Risa denkt auch an ihn. Das weiß er, weil sie ihn heimlich beobachtet. Eines Nachmittags spielt er mit einem Wachmann, der gerade frei hat, Basketball. Cam hat sein Hemd ausgezogen, unter dem nicht nur die Nähte, sondern auch seine Muskulatur zum Vorschein kommt. Der Waschbrettbauch eines Boxers, die kräftige Brustmuskulatur eines Schwimmers – makellose Muskelgruppen, die vom motorischen Hirnzentrum so exakt gesteuert werden, dass Cam den Ball perfekt im Korb versenkt. Risa beobachtet ihn von einem Fenster im großen Wohnzimmer aus. Er weiß es, lässt sich aber nichts anmerken, sondern liefert ein spektakuläres Spiel und lässt seinen Körper für sich sprechen. Erst als er fertig ist, blickt er zu Risa hinauf, damit sie weiß, dass ihre verstohlenen Blicke durchaus nicht so verstohlen sein müssen – sie darf gerne gucken. Sie zieht sich vom Fenster zurück, doch beiden ist klar, dass sie ihn beobachtet hat. Nicht, weil sie es musste, sondern weil sie es wollte. Und genau darin liegt der große Unterschied.
46.
Risa
Risa geht die Wendeltreppe hinauf. Risa geht die Wendeltreppe hinunter. Risa arbeitet mit Kenny, dem Physiotherapeuten, der ihr immer wieder bestätigt, wie schnell sie an Kraft gewinnt. Sie hört keinerlei Nachrichten von außen. Es
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