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Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Titel: Vollendet - Der Aufstand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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ist, als existiere die Außenwelt gar nicht mehr, und die Inselklinik, die keine wirkliche Klinik ist, wird schnell zu einem Zuhause. Sie findet das grässlich.
    Obwohl es Risa zunächst vor den täglichen Mahlzeiten mit Cam graut, muss sie feststellen, dass sie sich zunehmend darauf freut. Bei gutem Wetter sitzen sie draußen auf der Veranda, und egal, welche Mahlzeit sie zusammen einnehmen, es ist immer die beste des Tages. Cam, der mit seinem beeindruckenden Körperbau aus der Ferne gern angibt, ist bei den Mahlzeiten eher unbeholfen und empfindet diese erzwungene Zweisamkeit, die an eine arrangierte Ehe erinnert, offenbar als genauso unangenehm wie sie. Sie reden nicht mehr darüber, dass sie ihn geohrfeigt hat. Sie reden überhaupt nicht viel. Risa arrangiert sich mit ihm, und Cam arrangiert sich damit, dass sie sich mit ihm arrangiert. Eines Tages durchbricht er das Schweigen.
    »Es tut mir leid wegen neulich«, sagt er, während sie gemeinsam auf der Veranda Steak essen. »Ich war nur wütend. Es ist nichts Schlimmes daran, ein staatliches Mündel zu sein. Teile von mir wissen sogar, wie das ist. Ich habe Erinnerungen an staatliche Waisenhäuser. Mehr als eine.«
    Risa starrt auf ihren Teller. »Bitte sprich nicht darüber. Ich esse.«
    Aber er hört nicht auf. »Besonders schön ist es da nicht, stimmt’s? Man muss sich jedes bisschen Aufmerksamkeit erkämpfen, sonst werden nur die Grundbedürfnisse erfüllt. Ein schlimmeres Leben gibt es gar nicht.«
    Sie hebt den Blick. Er hat genau die Gefühle formuliert, die sie immer mit ihrer Kindheit im Heim verbunden hat.
    »Weißt du, in welchen Heimen du warst?«, fragt sie.
    »Nein«, erwidert er. »Da sind Bilder, Gefühle, einzelne Erinnerungen, aber mein Sprachzentrum stammt nicht von staatlichen Mündeln.«
    »Das überrascht mich nicht«, sagt Risa. »Auf sprachliche Fähigkeiten wird in staatlichen Waisenhäusern auch nicht sonderlich viel Wert gelegt.« Sie grinst.
    »Kennst du deine Geschichte?«, fragt Cam. »Warum du dort gelandet bist? Wer deine leiblichen Eltern sind?«
    Risa hat einen Kloß im Hals. »Das weiß niemand.«
    »Ich könnte dir die Informationen beschaffen«, erklärt Cam.
    Sein Vorschlag löst in ihr eine Mischung aus Angst und Freude aus. Diesmal ist sie geradezu dankbar dafür, dass die Angst überwiegt.
    »Ich wollte es nie wissen und das muss ich auch jetzt nicht.«
    Cam senkt enttäuscht den Blick, ja er wirkt niedergeschmettert. Risa greift unwillkürlich nach seiner Hand.
    »Danke, dass du es mir angeboten hast. Das war sehr nett von dir, aber ich habe mich schon lange damit abgefunden.« Erst als sie seine Hand wieder loslässt, wird ihr klar, dass sie ihn zum ersten Mal freiwillig berührt hat. Der Moment geht auch an ihm nicht spurlos vorüber.
    »Ich weiß, dass du in den Jungen verliebt warst, der auch Flüchtling aus Akron genannt wird«, sagt Cam.
    Risa antwortet nicht.
    »Es tut mir leid, dass er gestorben ist«, murmelt Cam. Risa sieht ihn entsetzt an, bis er fortfährt: »Es muss schrecklich gewesen sein im Happy Jack Ernte-Camp – zu erleben, wie das alles passiert ist.«
    Risa atmet tief und zitternd ein. Also weiß Cam nicht, dass Connor lebt. Heißt das, das Proaktive Bürgerforum weiß es auch nicht? Sie kann mit Cam nicht darüber sprechen, weil sie damit zu viele Fragen heraufbeschwören würde.
    »Vermisst du ihn?«, will Cam wissen.
    Nun kann Risa ihm die Wahrheit sagen. »Ja. Ich vermisse ihn. Sehr.«
    Es dauert lange, ehe Cam wieder etwas sagt. »Ich würde dich niemals bitten, dass du mir seinen Platz in deinem Herzen gibst. Aber ich hoffe, da drin ist noch Platz für mich als Freund.«
    »Ich kann dir nichts versprechen.« Risa bemüht sich zu verbergen, wie verletzlich sie in diesem Moment ist.
    »Findest du mich immer noch hässlich?«, fragt Cam. »Findest du mich immer noch abscheulich?«
    Risa möchte ihm aufrichtig antworten, muss aber erst die richtigen Worte finden. Er deutet ihr Zögern als Versuch, ihn zu schonen, und senkt wieder den Blick. »Ich verstehe.«
    »Nein«, widerspricht Risa, »ich finde dich nicht abscheulich. Du bist nur einfach schwer zu beurteilen. Es ist wie bei einem Picasso: Man schaut ihn sich an und überlegt, ob die Frau auf dem Gemälde hässlich oder schön ist. Man weiß es nicht, aber man muss immer wieder hinsehen.«
    Cam lächelt. »Du siehst mich als Kunstwerk. Das gefällt mir.«
    »Na ja, aus Picasso habe ich mir noch nie viel gemacht.«
    Nun muss Cam doch lachen,

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