Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
auch nicht. Ich möchte bloß keinen sinnlosen Tod sterben.«
»Wirst du auch nicht. Nicht, wenn ich es verhindern kann.« Damit beginnt er auf seinem Bett hin- und herzuschaukeln. Seine Hände sind mit den Kabelbindern fest an zwei der metallenen Bettpfosten gefesselt, aber mit den Füßen kann er eine Schaukelbewegung in Gang setzen. Er wirft sich mit seinem ganzen Gewicht nach links, dann nach rechts, immer und immer wieder, bis das Bett unter ihm über den Boden kratzt. Es soll kippen, aber er kann nicht ausreichend Schwung aufbauen und muss schließlich erschöpft innehalten.
»Es funktioniert nicht«, kommentiert Miracolina das Offensichtliche.
»Dann solltest du vielleicht anfangen zu beten. Ich werde das ganz sicher tun.«
Nach einer Ruhepause von ein paar Minuten versucht Lev es noch einmal. Dieses Mal gelingt es ihm, das Bett mit seiner Schaukelei ein bisschen weiter zu kippen, bis eines der Beine auf einer schiefen Bodendiele landet. Wenn er sich jetzt hin- und herwirft, heben die Beine auf der anderen Seite leicht vom Boden ab. Seine Kräfte schwinden, und der Schmerz der Plastikfesseln, die in seine Handgelenke schneiden, zehrt an ihm. Er muss pausieren, aber schon nach wenigen Minuten versucht er es wieder und noch einmal und jedes Mal kommt er dem notwendigen Schwung und dem notwendigen Drehmoment näher. Dann beißt er die Zähne zusammen, wirft sich stöhnend mit seinem ganzen Gewicht in Richtung der anderen Wand und kugelt sich dabei fast seine Arme aus – aber das Bett hebt sich an, seine Zukunft steht auf der Kippe wie eine Münze zwischen Kopf und Zahl – und kippt um. Der Metallrahmen und die Matratze landen auf Lev. Seine Ellbogen knallen schmerzhaft auf den verrottenden Holzboden und Splitter dringen in seine Haut ein. Unter dem Bett begraben hat Lev einen kurzen Flashback an die Explosion, als er unter dem Sofa eingeklemmt war, an das Gesicht seines Bruders und das von Pastor Dan. Er versucht Kraft aus diesem Augenblick zu schöpfen und sich nicht von seinem Kummer überwältigen zu lassen.
»Du hast es geschafft! Super!«, hört er Miracolina, auch wenn er sie nicht sehen kann. »Und was jetzt?«
»Weiß ich noch nicht genau.«
Levs Hände sind immer noch an die Bettpfosten gefesselt und schmerzen höllisch. Seine Gelenke bluten und an seinen Fingern spürt er Rost. Er muss an Tetanus denken und daran, dass man immer eine Tetanusspritze bekommen sollte, wenn man in einen rostigen Nagel getreten ist. Und er denkt an den eisernen Zaun um das Strandhaus seiner Familie, der in der salzigen Luft vollkommen verrostet war und sich in nichts aufgelöst hatte. Verrostet und in nichts aufgelöst …
Er schaut sich die Stelle an, wo die Bettpfosten mit dem Bettrahmen verbunden sind. Der Pfosten, an den seine linke Hand gefesselt ist, ist fast durchgerostet. Noch einmal lässt er den Schmerz außer Acht und reißt, so fest er kann, immer wieder an seiner Fessel, bis der Pfosten schließlich bricht und seine Hand freikommt.
»Was ist da unten los?«, fragt Miracolina.
Statt zu antworten, streckt er den Arm aus und greift nach ihrer Hand. Sie schnappt hörbar nach Luft.
Der Pfosten, an den seine rechte Hand gefesselt ist, ist nicht in so schlechtem Zustand wie der andere, aber er ist ebenfalls rostig und hat eine raue Oberfläche. Dieser Pfosten wird nicht so einfach durchbrechen, deshalb versucht er es mit einer anderen Methode: Er bewegt sein Handgelenk hin und her, sodass die Plastikfessel über das schartige, verrostete Metall scheuert. Millimeter um Millimeter wird das Plastik dünner, bis die Fessel schließlich reißt. Er wischt an der Matratze das Blut von seiner Hand und steht auf.
»Wie hast du das geschafft?«, fragt sie.
»Superkräfte«, antwortet er. Dann begutachtet er Miracolinas Fesseln, fasst unter ihre Matratze und findet ebenfalls rostiges Metall. Er zieht das Bett ein Stück von der Wand weg, stellt sich dahinter und tritt mit dem Fuß gegen die Pfosten, an denen Miracolina festgebunden ist, bis sie abbrechen. Sie zieht ihre Hände weg und schiebt die Plastikringe über ihre Knöchel.
»Alles in Ordnung?«, fragt Lev, und sie nickt. »Gut. Dann nichts wie weg.« Aber als er seinen rechten Fuß belastet, verzieht er das Gesicht und fängt an zu humpeln.
»Was ist los?«, will Miracolina wissen.
»Wahrscheinlich hab ich mir den Knöchel verstaucht, als ich die Bettpfosten umgetreten habe.« Er darf sich auf sie stützen und sie hilft ihm beim Gehen.
Als sie die
Weitere Kostenlose Bücher