Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
Teile.
Cam fummelt an der Krawatte herum. Sein Gehirn weiß, wie er sie binden muss, doch seine virtuosen Finger haben das offenbar nie gelernt. Er muss sich konzentrieren und den frustrierenden Mangel an Muskelerinnerung wettmachen.
Roberta klopft noch einmal, diesmal mit etwas mehr Nachdruck. »Es ist höchste Zeit.«
Er bewundert sich noch einmal kurz im Spiegel. Sein Haar ist mittlerweile gut zwei Zentimeter lang. Oberhalb der Stirn mit ihren changierenden Hauttönen sprießen die vielfarbigen Strähnen hervor wie ein Pelz. In der Mitte sind die Haare blond, werden aber links und rechts bernsteinfarben. Es schließen sich erst Rot- und dann Brauntöne an, die über den Ohren und in den kleinen, dunklen Locken der Koteletten einem satten Schwarz weichen. »Alle berühmten Hairstylisten werden sich um dich reißen«, hat Roberta einmal gesagt.
Ehe ihr Klopfen zu einem Hämmern wird, öffnet Cam die Tür. Robertas Kleid ist etwas eleganter als die Kombination aus Hose und Bluse, die sie sonst trägt, aber dennoch dezent. Die Aufmerksamkeit soll Cam gelten. Einen Augenblick wirkt sie noch verärgert, doch als sie ihn sich genauer ansieht, schmilzt ihr Missmut dahin.
»Du siehst einfach fantastisch aus, Cam.« Sie streicht ihm über das Hemd und zieht die Krawatte gerade. »Wie ein strahlender Stern!«
»Dann wollen wir mal hoffen, dass ich keine komplexen Elemente hervorbringe.«
Sie sieht ihn fragend an.
»Supernova«, erklärt er. »Wenn ich ein strahlender Stern bin, dann wollen wir doch hoffen, dass ich nicht explodiere.« Er hatte gar nicht vor, sie zu verwirren. »Tut mir leid, so funktioniert mein Gehirn eben.«
Sie nimmt ihn sanft am Arm. »Komm, sie warten schon auf dich.«
»Wie viele?«
»Wir wollten nicht, dass deine erste Pressekonferenz dich völlig erschlägt, deshalb haben wir sie auf dreißig beschränkt.«
Sein Herz rast, und er muss ein paarmal tief einatmen, um sich wieder zu beruhigen. Er weiß gar nicht, warum er so nervös ist. Er wurde in drei Probeläufen auf die Pressekonferenz vorbereitet und mit Fragen in allen möglichen Sprachen bombardiert. Damit kam er gut zurecht. Und da heute nur Englisch gesprochen wird, muss er sich über die Sprachen sowieso keine Gedanken machen.
Diesmal allerdings ist es echt. Diesmal wird er der Welt, die nicht auf ihn vorbereitet ist, offiziell vorgestellt. Die Gesichter der Leute, denen er auf den gespielten Konferenzen gegenübersaß, waren freundlich, auch wenn sie unfreundlich taten, aber heute wird er fremden Menschen begegnen. Einige werden neugierig sein, andere fasziniert und wieder andere womöglich einfach nur entsetzt. Darauf hat ihn Roberta vorbereitet. Sorgen machen ihm vielmehr die Dinge, die nicht einmal sie voraussagen kann.
Sie gehen durch den Flur zu einer Wendeltreppe, die in das große Wohnzimmer führt. Diese Treppe hatte er in den ersten Wochen nicht betreten dürfen, solange es seine Koordination noch nicht zuließ. Heute könnte er sie hinuntertänzeln, wenn er wollte. Roberta bittet ihn, zu warten, bis sie ihn angekündigt hat. Sie geht vor, und Cam hört, wie das Gemurmel der Journalisten langsam verebbt. Die Lichter werden gedimmt, und Roberta beginnt mit der Präsentation.
»Seit Urzeiten träumt die Menschheit davon, Leben zu erschaffen«, hört er ihre Stimme, verstärkt durchs Mikrofon. Das Licht der Projektionen dringt bis zur obersten Treppenstufe herauf. Cam kann die Bilder der Präsentation nicht sehen, aber er kennt sie.
»Doch das großartige Rätsel des Lebens war immer schwer zu fassen«, fährt Roberta fort, »und jeder Schöpfungstraum endete in einem demütigenden Misserfolg. Dafür gibt es einen guten Grund: Solange wir nicht verstehen, was genau das Leben ausmacht – wie können wir es da erschaffen? Nein – es ist vielmehr Aufgabe der Wissenschaft, das Wissen zusammenzuführen, über das wir bereits verfügen, und darauf aufzubauen: nicht Leben schaffen, sondern Leben perfektionieren. Deshalb haben wir uns die Aufgabe gestellt, aus dem Besten, das wir alle in uns tragen, die intellektuelle und körperliche Evolution des Menschen in einer besonders ausgefeilten Version unserer selbst zu vervollkommnen. Diese Aufgabe war, wie wir merkten, einfach, als wir sie uns erst einmal gestellt hatten.« Sie macht eine kurze Pause, um die Spannung zu steigern. »Ladys und Gentlemen, hiermit stelle ich Ihnen Camus Comprix vor, den ersten Verbundmenschen der Welt!«
Als Beifall aufbrandet, schreitet Cam die
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