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Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Titel: Vollendet - Der Aufstand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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Arterien ausüben. Einer zieht mit zittrigen Händen eine Spritze auf.
    »Lidocain oder Epinephrin?«, fragt Risa.
    »Lidocain?«, fragt er zurück.
    »Ich erledige das. Hol du die Epinephrin-Spritzen, die schon aufgezogen sind.«
    Er sieht sie verständnislos an.
    »Adrenalin!«, erklärt sie. »Das ist dasselbe wie Adrenalin.«
    »Ach so. Ich weiß, wo sie sind!«
    Risa versucht, sich zu konzentrieren und sich von dem Schreckensszenario nicht überwältigen zu lassen. Sie gibt dem verletzten Jungen die erste Spritze, die den Schmerz lindern wird.
    »Hat jemand den Arzt gerufen?«, fragt Risa.
    »Bestimmt schon drei Mal«, antwortet Kiana.
    Bei einem Notfall, mit dem sie allein nicht fertigwerden, können sie einen Arzt rufen, der dann auf den Friedhof kommt. Er sympathisiert mit dem Widerstand und arbeitet daher unentgeltlich, ohne Fragen zu stellen. Allerdings reagiert er nur auf ihre Hilferufe, wenn er Lust dazu hat. Aber auch wenn er jetzt käme, weiß Risa schon, was er sagen würde.
    »Wir müssen ihn ins Krankenhaus bringen.«
    Bei diesen Worten macht sich Erleichterung breit, denn das Leben dieses Jungen liegt nun nicht mehr in ihren Händen. Bei all den Verletzungen, die es auf dem Friedhof schon gegeben hat, mussten sie bisher nur zweimal jemanden ins Krankenhaus schicken. Beide Male ist der Verletzte gestorben. Risa will auf keinen Fall, dass das noch einmal passiert.
    »Tut so weh«, murmelt der Junge unter Stöhnen und Grimassen.
    »Schsch.« Risa sieht, dass er vor Schmerz die Augen verdreht.
    »Konzentriere dich auf mich.« Sie gibt ihm die Epinephrin-Spritze, damit die Blutung aufhört und hoffentlich kein septischer Schock eintritt. »Wie heißt du?«
    »Dylan«, sagt er. »Dylan Ward.«
    »Wirklich? Ich war auch im Waisenhaus. Ohio, staatliches Waisenhaus 23.«
    »Florida Magnolia. Die staatlichen Waisenhäuser in Florida sind nicht nummeriert. Sie sind nach Blumen benannt.«
    »Ja klar: Florida, der Blumenstaat.«
    Dylan Ward ist dreizehn, vielleicht vierzehn Jahre alt. Er hat eine starke Lippenspalte, bei deren Anblick Risa wütend wird, denn während Eltern ein Kind selten wegen seines Aussehens umwandeln lassen, haben staatliche Waisenhäuser kein Problem damit. Für Risa ist es nun eine Frage der Ehre, ihn zu retten. Sie bittet Kiana, den Krankenwagen zu holen.
    »Der hat einen Plattfuß«, sagt Kiana.
    Risa flucht. »Dann repariert ihn!«
    »Geh nicht.« Dylan setzt seine Hoffnung wohl völlig in Risa.
    »Mach ich nicht«, versichert sie ihm.
    Die AUF verspricht immer wieder, dass sie einen Arzt auf den Friedhof entsendet, doch bislang ist das nicht geschehen. Risa ist klar, dass es für den Widerstand Wichtigeres gibt, aber wenn ein Kind verblutet, ist das eine schwache Ausrede.
    »Muss ich sterben?«, fragt Dylan.
    »Natürlich nicht.« In Wahrheit hat Risa keine Ahnung, ob er überleben wird, doch diese Auskunft wäre für ihn nicht besonders tröstlich. Wer so eine Frage stellt, will nicht die Wahrheit hören.
    Risa rollt über den verstreuten Unrat, der auf dem Boden liegt, zur Rampe und nach unten, wo ein paar Jugendliche herumstehen und tuscheln.
    Einer kommt zu ihr. Es ist Starkey. Seit Connor ihm die Essensversorgung übertragen hat, meint er, seine Nase überall reinstecken zu müssen. »Kann ich etwas tun?«
    »Nur, wenn du übersinnliche Kräfte hast und uns per Teleportation in ein Krankenhaus bringen kannst.«
    »Tut mir leid«, sagt er, »meine Zaubertricks sind nur Tricks.«
    In diesem Moment kommt Connor angerannt.
    »Ich habe gehört, es gab einen Unfall. Ist jemand verletzt?«
    Risa nickt. »Mit dem einen kommen wir zurecht, aber der andere« – bei der Erinnerung schüttelt es sie –, »der muss ins Krankenhaus.«
    Connor presst die Lippen aufeinander, und seine Beine beginnen zu zittern, wie damals in den Geheimverstecken. Er überwindet seine Angstreaktion, indem er sich mit der Faust in die Hand schlägt. »Okay.« Er nickt. »Okay, wir tun, was wir tun müssen.« Erst in diesem Moment fällt ihm auf, dass Starkey auch da ist. »Hilft dir Starkey?«
    »Nicht so richtig«, erwidert Risa. Dann, um ihn loszuwerden, schlägt sie vor: »Er könnte mit den anderen den Platten am Krankenwagen reparieren.«
    Starkey sieht sie einen Augenblick verletzt an, dann lächelt er. »Klar, kein Problem.« Und er marschiert davon.

    Der Krankenwagen ist ein Minivan ohne Sitze, notdürftig ausgestattet mit medizinischer Ausrüstung. Dylan wird hinuntergetragen und ins Auto geschoben.

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