Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
Flur wieder.
Zwar werden Hunderte von Menschen durch eine Notaufnahme geschleust, aber nicht viele von ihnen sind Teenager, deren Eltern rätselhafterweise nicht zu erreichen sind und deren »Geschwister« verschwinden, sobald ihnen die Todesnachricht überbracht wird. Die Krankenschwester muss Kiana erkannt haben, keine Frage. Das bedeutet, dass hier gleich in mehrfacher Hinsicht betrogen wird.
»Entschuldigung«, ruft jemand vom hinteren Ende des Gangs, »du darfst dich hier nicht aufhalten.«
Aber Risa ist das egal. Sie rollt in den großen Raum, an dem »Aufwachraum« steht. Er ist durch Vorhänge in einzelne Kabinen unterteilt. Risa zieht einen Vorhang nach dem anderen zur Seite.
Ein leeres Bett. Eine alte Frau. Noch ein leeres Bett. Und endlich: Dylan Ward. Seine Wunde wurde verbunden und eine Infusion in seinen Arm gelegt. Er ist bewusstlos, aber der Monitor zeigt beständigen Herzschlag. Dylan ist alles andere als tot.
In diesem Moment kommt die Krankenschwester dazu, und Risa dreht den Rollstuhl um. Die Frau sieht plötzlich gar nicht mehr verweint aus.
»Du musst hier sofort raus, sonst hole ich die Sicherheitsleute.«
Risa verriegelt die Bremse, damit sie den Rollstuhl nicht wegfahren kann.
»Sie haben mir gesagt, er wäre tot!«
»Und du hast mir gesagt, er wäre dein Bruder.«
»Wir nehmen ihn mit«, erklärt Risa bestimmt. Leider fehlt ihr ein Druckmittel.
»Er ist nicht transportfähig, und auch wenn er es wäre, würde ich einen flüchtigen Wandler nur der Jugendbehörde übergeben.«
»Haben Sie das mit den anderen auch gemacht? Haben Sie sie den JuPos übergeben?«
»Das ist meine Sache«, erwidert die Krankenschwester kalt.
»Dann haben Sie wenigstens die Güte, mir zu sagen, ob die anderen beiden noch leben.«
Die Krankenschwester sieht sie boshaft an und zischt: »Sie leben. Aber mittlerweile wahrscheinlich im geteilten Zustand.«
Risa wünschte, sie könnte aufstehen und die Frau gegen die Wand klatschen. Wuterfüllte Blicke flirren zwischen ihnen hin und her.
»Ihr glaubt wohl, ich weiß nicht, was da auf dem Friedhof abgeht, was? Ich weiß es ganz genau. Mein Bruder ist JuPo. Es ist ein Wunder, dass sie euch nicht alle einfangen und dahin bringen, wo ihr hingehört!«
Sie zeigt mit dem Finger in eine willkürliche Richtung, als wüsste sie, dass dort das nächste Ernte-Camp liegt. »Die Leute sterben, weil es nicht genügend Teile gibt, und du und deine egoistischen Freunde im Widerstand lasst sie einfach krepieren.«
Da ist er also , denkt Risa. Der Abgrund zwischen zwei völlig verschiedenen Vorstellungen von Richtig und Falsch. Für diese Frau ist Risa Abschaum und nichts wird das je ändern.
»Und Sie wollen wohl der Gesellschaft helfen«, faucht Risa. »Oder ist es vielleicht die Belohnung?«
Als die Frau den Blick abwendet, weiß Risa Bescheid.
Die moralische Überlegenheit der Frau bröckelt unter ihren Füßen weg und sie stürzt in die Tiefe.
»Geh du mal zurück und kümmere dich um deine dreckige Horde«, sagt die Krankenschwester. »Dann erfährt von mir niemand, dass du je hier gewesen bist.«
Aber Risa kann nicht einfach zurückkehren. Sie kann Dylan nicht der Umwandlung ausliefern. In diesem Moment kommt ein JuPo in die Notaufnahme.
»Hier bin ich!«, ruft die Krankenschwester. Dann sieht sie sich noch einmal zu Risa um. »Wenn ihr jetzt geht, lasse ich dich und deine Freundin ziehen. Du kannst vielleicht nicht umgewandelt werden, aber bestimmt wird man dich einsperren.«
Doch Risa geht nirgendwohin.
Die Krankenschwester begrüßt den Polizisten, der dem Aussehen nach ihr älterer Bruder ist. Er wirft Risa einen neugierigen Blick zu, ehe er sich dem Jungen im Bett zuwendet.
»Ist er das?«
»Wir haben ihn stabilisiert, aber er hat viel Blut verloren. Er wird noch nicht so bald transportfähig sein.«
»Stellt ihn weiterhin ruhig«, ordnet der Polizist an. »Am besten ist es, wenn er erst im Ernte-Camp aufwacht.«
Risa dreht den Rollstuhl um. Sie weiß erst Sekunden, ehe sie es tut, was sie vorhat. Sekunden stummen Entsetzens, aber ohne jedes Zögern.
»Nehmen Sie mich«, sagt sie. »Nehmen Sie mich stattdessen.«
Sie weiß, dass Connor nicht einverstanden wäre. Sie weiß, dass er fuchsteufelswild sein wird, aber sie lässt nicht zu, dass der Gedanke an ihn ihre Entschlossenheit schmälert. Hier geht es um die Rettung von Dylan Ward.
Der Polizist mustert sie. Offenbar weiß er genau, wer sie ist und was ihr Angebot bedeutet.
»Soweit ich
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