Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
hergeben.«
Deshalb holt Pastor Dan Lev nun jeden Sonntag bei Marcus zu Hause ab und sie erfreuen die Jungs in der Jugendstrafanstalt mit ihrer speziellen Art des geistlichen Beistands.
Zuerst waren diese Besuche unangenehm und peinlich. Aber schon nach wenigen Monaten hatte Lev den Dreh raus, wie man an das Herz harter Jungs herankommt. Er fand heraus, wie sie tickten, und entschärfte sie, ehe das Ticken zur Explosion führte.
»Die Wege des Herrn sind unerbittlich«, wandelte Pastor Dan einmal einen berühmten Spruch ab. Wenn Lev Helden hat, dann sind es Pastor Dan und sein Bruder Marcus. Marcus, weil er sich gegen seine Eltern durchgesetzt und Lev zu sich genommen hat, obwohl er dafür endgültig mit seiner Verwandtschaft brechen musste. Sie sind nun beide ausgestoßen aus einer Familie, die in ihrem unerschütterlichen Glauben Marcus und Lev lieber totschweigen, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen. »Es ist ihr Verlust«, sagt Marcus oft zu Lev, aber er muss jedes Mal wegschauen, weil ihm die Tränen kommen.
Pastor Dan ist für Lev ein Held, weil er den Mut hatte, Überzeugungen aufzugeben, ohne seinen Glauben einzubüßen. »Ich glaube immer noch an Gott«, erklärte Pastor Dan, »nur nicht an einen Gott, der den Zehntopfergang gutheißt.« Unter Tränen hatte Lev ihn gefragt, ob er dann auch noch an Gott glauben könne. Nie war ihm in den Sinn gekommen, dass er das selbst entscheiden könnte.
Dan, den außer Lev niemand mehr »Pastor« nennt, hat sich als nicht konfessionsgebundener Geistlicher in das Formular eingetragen, das sie für die Besuche in der Jugendstrafanstalt ausfüllen mussten.
»Welche Religion haben wir denn?«, fragt ihn Lev jedes Mal, wenn sie in die Vollzugsanstalt gehen. Die Frage ist zum Running Gag geworden und Pastor Dan hat jedes Mal eine andere Antwort parat.
»Wir sind Pfingstrosler, weil bei uns der Heilige Geist rot ist und herrlich duftet.«
»Wir sind Methonudisten, weil wir Gott am liebsten nackt entgegentreten.«
»Wir sind Presbypterodaktylen, weil wir wider jede Vernunft alles zum Fliegen bringen.«
Aber am besten findet Lev: »Wir sind Leviathaner, wegen allem, was dir zugestoßen ist, Lev.«
Das beunruhigt Lev und macht ihn gleichzeitig glücklich. Er steht im Herzen einer geistlichen Bewegung, auch wenn diese Bewegung nur aus ihnen beiden besteht.
»Ist der Leviathan nicht ein hässliches Monster?«, fragt er.
»Allerdings«, sagt Pastor Dan, »also hoffen wir, dass du nie einer wirst.«
Lev wird nie zu den Großen gehören. Dass er nicht wie vierzehn wirkt, liegt nicht nur daran, dass er einfach jünger aussieht. In den Wochen nach seiner Gefangennahme musste er eine Transfusion nach der anderen über sich ergehen lassen. Sein Blut wurde auf die Art zwar gereinigt, doch die Vergiftung durch die Sprengstoffe hat seinen Körper nachhaltig geschädigt. Wochenlang war er wie eine Mumie in weiche Mullbinden eingewickelt und hing da, mit ausgestreckten Armen, damit er sich nicht in die Luft sprengte.
»Man hat dich in Watte gepackt und gekreuzigt«, witzelte Pastor Dan damals. Lev fand das nicht besonders komisch.
Der Arzt verbarg seine Abneigung gegenüber Lev hinter einer kalten klinischen Fassade.
»Obwohl wir die Chemikalien aus deinem Blutsystem entfernen können«, erklärte er, »werden sie ihren Tribut fordern.« Dann lachte er bitter. »Du wirst leben, aber du wirst nie umgewandelt werden. Du hast deine Organe gerade so weit geschädigt, dass sie für andere unbrauchbar sind.«
Diese Schädigung hat auch Levs Wachstum und seine körperliche Entwicklung gebremst. Levs Körper steckt dauerhaft im Alter von dreizehn Jahren fest. Das ist der Preis, den ein Klatscher zahlt, der nicht klatscht. Das Einzige, was immer noch wächst, ist sein Haar – und er hat bewusst entschieden, es wachsen zu lassen und nie wieder der sauber frisierte, leicht manipulierbare Junge zu sein, der er einst war.
Zum Glück haben sich die schlimmsten Vorhersagen nicht bewahrheitet. Man hat ihm gesagt, er werde nuscheln und seine Hände würden ständig zittern. Das ist nicht eingetroffen. Es hieß, dass seine Muskeln und Kräfte schwinden würden. Auch das ist nicht passiert. Das regelmäßige Training hat ihm zwar nicht gerade das Aussehen eines Bodybuilders verschafft, aber doch einiges an Muskelgewebe aufgebaut. Klar, er wird nie der sein, der er einmal war – aber der wäre er sowieso nie wieder gewesen. Man hätte ihn umgewandelt. Alles in allem ist er so besser
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