Vollendung - Thriller
Und so betrübte es den Bildhauer gewaltig, dass es ausgerechnet die Pietà war, die ihm schließlich so viel Ärger machen sollte.
In den zwei Wochen seit seiner zweiten Ausstellung – in den zwei Wochen, seit man ihn beinahe erwischt hätte – folgte der Bildhauer aufmerksam jeder einzelnen Geschichte über ihn in den Medien. Ja, er sah viele Male die Standbilder von sich, die die Kamera auf dem Armaturenbrett des Polizeiwagens aufgenommen hatte, die lächerlichen FB I -Skizzen, wie er unter seiner Skimaske aussehen könnte, die Angaben über seine Größe und sein Gewicht, die Bilder von Marke und Modell seines Transporters – das ganze Blabla.
Letzten Endes störten den Bildhauer solche Einzelheiten jedoch nicht, denn letzten Endes wusste er, dass sie ihm nicht wehtaten. Nein, was dem Bildhauer wirklich unter die Haut ging, war die Erkenntnis, dass Polizei und FBI auf welche Weise auch immer herausgefunden hatten, wo er seine Pietà ausstellen würde. Und auch wenn ihm rasch klar geworden war, dass die Behörden ihre Entdeckung erst im letzten Moment gemacht hatten, konnte sich der Bildhauer – indem er zwei und zwei in den Medienberichten zusammenzählte – gut vorstellen, wer ihnen den Tipp gegeben haben könnte.
Dr. Hildy. Es muss Dr. Hildy gewesen sein.
Der Bildhauer ließ die Hantelstange mit einem lauten Knall auf die Halterung fallen. Er hatte heute so viel wie noch nie trainiert und begriff sehr wohl, dass er seine Frustration in einer für ihn ungewöhnlichen Weise in sein Bodybuilding fließen ließ. Das Training des Bildhauers in seinem Keller ging normalerweise sehr methodisch vonstatten – ruhig, gleichmäßig, unaufgeregt. Aber heute fühlte sich der Bildhauer ruhelos, hilflos – als müsste er arbeiten. Alles war bereit und fertig für seinen David – das Video, der Sockel und der Rahmen, das Epinephrin, das Formaldehyd, die Chemikalien für den Plastinationsprozess. Er hatte sogar den Transporter neu lackiert und die falsche Satellitenschüssel entfernt und würde damit beginnen, ihm eine neue Tarnung zu verpassen, sobald er sein neues Material hatte. Alles, was er jetzt im Grunde noch brauchte, war das richtige Material. Aber da der Bildhauer nicht dahinterkam, wie Dr. Hildy und das FBI den Standort seiner Pietà herausgefunden hatten, spürte er instinktiv, dass es zu gefährlich wäre, sich jetzt auf die Materialsuche zu machen.
Und wo würde er überhaupt suchen? Nicht mehr in den Straßen von South Providence, nicht im Internet und nicht oben in Boston, jetzt da das FBI wusste, dass das RounDaWay17-Material von dort stammte. Nein, das alles würde das FBI überwachen. Abgesehen davon hatte der Bildhauer von Anfang an verstanden, dass er nach der Enthüllung seiner Pietà diese Art von Material nicht länger würde benutzen können; ihm war klar, er würde zu einer Materialsuche wie im Fall des Bacchus zurückkehren müssen.
Sicher, die Nachrichten behaupteten fälschlicherweise, der Bildhauer habe sein Material für die Christusfigur in der Arlington Street in Boston gefunden. Und falls das FBI tatsächlich von RounDaWay17s Craigslist-Account wissen sollte, dann hatten sie es jedenfalls der Presse nicht verraten. Nein, darüber machte sich der Bildhauer keine Sorgen – er wusste, es würde unmöglich sein, RounDaWay17s Online-Aktivitäten zu verfolgen, nachdem er in den Account des jungen Mannes eingedrungen, ihn verändert und gelöscht hatte.
Nein, es war dieses bohrende Nichtwissen, wie Dr. Hildy und das FBI herausgefunden hatten, wo er seine Pietà aufstellen würde, was ihm am meisten Sorge machte.
Zumindest ist alles fertig, sagte er sich. Das ist immerhin ein Trost.
Am Anfang, als er anfing, mit den Teilen von den Frauen zu experimentieren, war der Bildhauer durch ganz Neuengland gereist, hatte die Schlösser an den Hintertüren von Leichenhallen und Beerdigungsinstituten geknackt und gerade so viel Formaldehyd gestohlen, dass er über die Runden kam – gerade so viel, dass es nicht vermisst wurde. Aber der Bildhauer hatte auf seinen Reisen beobachtet, dass viele Beerdigungsinstitute ihr eigenes Formaldehyd produzierten, und später, nachdem er im Internet zufällig über ein Bild des gebürtigen Rhode Islanders Tommy Campbell gestolpert war – als er die Ähnlichkeit zu Michelangelos Bacchus sah und verstand, dass es sein Schicksal war, den Footballspieler für seine erste Ausstellung zu verwenden –, hatte er nicht nur die Arbeit an der Pietà
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