Vollendung - Thriller
Cathy. »Ich kenne niemanden, der das könnte.«
»Und Sie haben keine Ahnung, warum jemand ausgerechnet Ihnen diese Statue widmen sollte?«
»Nein, keine Ahnung.« In dem verlegenen Schweigen, das folgte, kam Cathy plötzlich zu Bewusstsein, dass das gesamte FB I -Team – das aus zwei Dutzend Leuten bestehen musste – sie anstarrte. Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, wie ihr Magen rebellierte, und dann tauchte eine flüchtige Erinnerung auf, ein Traum – die dritte Klasse, und die höhnischen Rufe bei ihrer Vorführung hallten in ihrem Kopf wider.
Es war Sam Markham, der ihr zu Hilfe eilte.
»Dr. Hildebrant, können Sie uns sonst noch etwas über die Statue erzählen, bevor das forensische Team sie abtransportiert? Zum Beispiel, warum Tommy Campbells … nun ja, warum sein Penis fehlt?«
Cathy hatte den vagen Verdacht, dass Markham die Antwort auf diese Frage bereits kannte – dass er sie dazu bringen wollte, so über den Bacchus zu sprechen, wie sie es im Wagen getan hatte, um sie zu beruhigen. Und einen winzigen Augenblick lang liebte sie ihn dafür.
»Nun«, begann sie, »die Gründe sind umstritten, aber dem Original fehlt ebenfalls der Penis. Wir wissen, dass die rechte Hand des Bacchus , die die Schale mit Wein hält, zu irgendeinem Zeitpunkt abgebrochen wurde, um der Statue ein antikes Aussehen zu verleihen – eine Zeit lang war sie nämlich in einer Sammlung römischer Artefakte untergebracht, die einem Mann namens Jacopo Galli gehörte. Die Hand wurde allerdings um 1550 wieder angebracht, aber der Penis … nun, manche Experten glauben, er war nie da oder wurde von Michelangelo selbst kurz nach Fertigstellung der Statue weggemeißelt.«
»Warum?«, fragte Markham.
»Sowohl in der römischen wie der griechischen Mythologie – die Griechen nannten ihre Version des Gottes Dionysos – war Bacchus nicht nur der Gott des Weins und der Ausschweifung, sondern auch der Gott des Theaters und besaß von daher alle Eigenschaften, die den ursprünglich rituellen und feierlichen Zwecken des frühen griechischen Theaters angemessen waren. Auch wenn sich die Fachwelt noch über die wahre Natur dieser frühen Rituale streitet, folgern einige Gelehrte, es müsse angesichts der Tatsache, dass Sex zu den Ausschweifungen gehörte, über die Bacchus herrschte, auch eine sexuelle Komponente in diesen frühen Theaterritualen gegeben haben. Von daher sehen wir Bacchus sowohl in der griechischen als auch in der römischen Mythologie häufig mit sowohl männlichen als auch weiblichen Genitalien dargestellt und deshalb mit der Fähigkeit ausgestattet, das sexuelle Verlangen sowohl von Männern als auch von Frauen zu steuern. Man glaubte lange Zeit, dass Michelangelo den Körper seines Bacchus absichtlich so üppig, fast androgyn gestaltet hat – der gedunsene Bauch, die geschwollenen Brüste – und manche Wissenschaftler sagen, der Bacchus sei aus demselben Grund absichtlich ohne Penis fertiggestellt worden. Ich selbst neige dieser Ansicht allerdings nicht zu.«
»Haben Sie schon einmal etwas Ähnliches gesehen, Sam?«, fragte Burrell.
»Nein. Serienmörder stellen ihre Opfer zwar manchmal zur Schau, sei es um ihrer eigenen kranken Bedürfnisse willen oder für die anderen, die danach kommen, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen, nein.«
»Und der fehlende Penis? Sagt Ihnen der etwas? Hat der Täter ein Problem mit seinem Geschlecht? Will er vielleicht eine Frau sein oder so?«
»Vielleicht. Aber vielleicht wollte er auch nur, dass die Skulptur genauso aussieht wie die in Florenz.«
»Das würde erklären, warum er die Statue genau hier ausgestellt hat«, sagte Cathy.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Burrell.
»Agent Markham, Sie haben mir erzählt, dass der Besitzer dieses Grundstücks Vorstand einer Investmentfirma ist, ja?«
»Das stimmt. Sein Name ist Dodd. Earl Dodd.«
»Michelangelos Bacchus wurde ursprünglich 1496 von einem Kardinal namens Riario in Auftrag gegeben, der beabsichtigte, sie in seinem Garten mit klassischen Skulpturen aufzustellen. Der Kardinal wies die Statue dann jedoch zurück – er fand sie geschmacklos –, und wir wissen, dass sie um 1506 herum ein Zuhause im Garten von Jacopo Galli, einem reichen Bankier, gefunden hatte.«
Burrell und Markham wechselten einen Blick, und Cathy fühlte sich plötzlich wieder befangen.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Verzeihen Sie, wenn ich Detektiv spiele. Zu viele Abende allein vor dem Fernseher, CSI gucken, würde ich
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