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Vollendung - Thriller

Vollendung - Thriller

Titel: Vollendung - Thriller
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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es könnte auch im übertragenen Sinn gemeint sein, wie dass er ihr durch ihre Arbeit nahe gekommen ist – durch ihr Buch, das etwa ein halbes Jahr, bevor die Mitteilungen eintrafen, veröffentlich worden war.«
    »Aber die Zeile mit ›Du weißt, ich bin der Gleiche‹ – ist das nicht ein offenes Eingeständnis? Sagt der Verfasser damit nicht buchstäblich: Du weißt, wer ich bin?«
    »Kann sein«, sagte Markham. »Aber auch hier könnte ihr Bewunderer wieder im übertragenen Sinn gesprochen haben – wenn man den Kontext des Originalsonetts an Cavalieri bedenkt, war es vielleicht eine Art homosexueller Code für etwas anderes, eine spirituelle Liebe, die nicht beim Namen genannt werden durfte. Wenn wir die ersten vier Zeilen wörtlich nehmen, scheint die Zeile ›Was ist’s, das uns im Gruße zögern heißt?‹ nur in dem Kontext angemessen, dass Dr. Hildebrant jemandes Avancen nicht erwidert. Und da sie mir erzählt hat, dass vor dem Eintreffen der Mitteilungen nichts dergleichen passiert ist, neige ich zu der Ansicht, dass es hinter den ersten vier Zeilen eine verborgene Bedeutung gibt, so wie es in Michelangelos Zeit eine für Cavalieri gab. Was diese Bedeutung für Dr. Hildebrant ist, kann ich nicht wissen. Berücksichtigt man jedoch den Rest des Sonetts, so neige ich zu der Ansicht, dass Dr. Hildebrants Bewunderer, wie Michelangelo selbst, das Gedicht mehr als spirituelle Eröffnung denn als richtige Liebesbotschaft gemeint hat – das heißt, mehr eine Würdigung ihrer Seele als ihrer Schönheit.« Markham sah Cathy an. »Sie sagten, der Absender hat keinen Versuch unternommen, den Adressaten in dem Gedicht von einem Mann – einem Herrn  – in eine Frau, eine Dame zu verändern, ist das richtig?«
    »Ja«, sagte Cathy.
    »Eine sonderbare Entscheidung, wenn Dr. Hildebrants Bewunderer seine Korrespondenz als Liebeserklärung gemeint hat, finden Sie nicht, Bill?«
    »Lesen Sie mir den Rest vor«, sagte Burrell.
    »Der nächste Abschnitt scheint in der Tat die Annahme einer spirituellen, im übertragenen Sinn gemeinten Anziehung statt einer körperlichen zu stützen.
    ›Ist wahr die Hoffnung, die du mir gebracht,
    und wahr der Wunsch und sicher, dass er gelte,
    so bricht die Wand, die zwischen uns gestellte,
    verhehltes Wehe hat nun doppelt Macht.
    Wenn ich an dir nur liebe, was auch du
    am meisten an dir liebst, Herr, zürne nicht.
    Das sind die Geister, die sich so umwerben.‹
    Auch hier wieder spricht Dr. Hildebrants Bewunderer sie wie im Original als ›Herr‹ an, wie sie mir sagte. Es gibt außerdem die offene Aussage, dass sich die Geister lieben. In diesem Kontext jedoch – also in dem einer nicht körperlichen Liebe, eines nicht sexuellen Verlangens – wirken die letzten drei Zeilen fehl am Platz.
    ›Was ich begehr in deinem Angesicht,
    dem sehn die Menschen unverständig zu,
    und wer es wissen will, der muss erst sterben.‹«
    Bleiernes Schweigen breitete sich in dem Fahrzeug aus.
    »Darf ich mal sehen?«, fragte Burrell schließlich. Markham gab ihm den Gedichtband. »Und wer es wissen will, der muss erst sterben«, las Bill laut vor.
    »Ja«, sagte Markham. »Zumindest ein sehr merkwürdiger Zufall – bedenkt man die jüngste Wendung der Ereignisse, meine ich.«
    »Aber das ergibt keinen Sinn«, sagte Burrell. »›Was ich begehr in deinem Angesicht, dem sehn die Menschen unverständig zu, und wer es wissen will, der muss erst sterben.‹ Glauben Sie wirklich, Sam, dass Dr. Hildebrants Bewunderer ihr mitgeteilt hat, dass er beabsichtigt, jemanden zu töten? Und dass er dann fünfeinhalb Jahre wartet, bis er die Tat ausführt?«
    »Ich weiß es nicht, Bill.«
    »Und was meint Michelangelo in seinem Gedicht, wenn er sagt, was er begehrt, dem sehen die Menschen unverständig zu?«
    »Michelangelo meint, dass die Menschen nicht nur ihn missverstehen«, sagte Cathy, »sondern auch die Art der Liebe, die er für Cavalieri empfindet. Er sagt Cavalieri, auch wenn ihre Zeitgenossen sein Verlangen nach ihm nicht anders als lüstern und sündig auffassen könnten, gehe es in Wirklichkeit darüber hinaus und ins Reich des Göttlichen – eine Liebe, die nur ganz verstanden werden kann, wenn man stirbt, wenn man Gott erfährt.«
    »Das ist vermutlich das, was ich nicht verstehe«, sagte Markham. »Warum mich diese letzten drei Zeilen so verwirren – vorausgesetzt, dass dieses Gedicht nur als spiritueller Annäherungsversuch gemeint war. Auch wenn das Fundament von Michelangelos Liebe
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