Vollendung - Thriller
zu Cavalieri viel tiefer als bis ins rein Körperliche reichte, nach dem, was Sie mir erzählt haben, Dr. Hildebrant, gab es sehr wohl auch eine sexuelle, homoerotische Komponente. Ist das richtig?«
»Ja.«
»Das heißt, die Zeile mit dem Begehren und dem Angesicht«, unterbrach Burell, »wollen Sie sagen, Sam, dass sie keinen Sinn im Zusammenhang mit dem restlichen Gedicht ergibt, es sei denn, Dr. Hildebrants Bewunderer ist homosexuell? Es sei denn, es ist eine Frau?«
»Vielleicht. Vorausgesetzt, Dr. Hildebrants Bewunderer hat den ursprünglichen Kontext des Sonetts, die Geschichte dahinter, tatsächlich verstanden. Und nach meiner Erfahrung in solchen Dingen, kann man getrost davon ausgehen, dass das der Fall war.«
»Aber das würde dann bedeuten, dass Dr. Hildebrants Bewunderer und Campbells Mörder nicht ein und dieselbe Person sein können. Den Fußspuren im Sand nach zu urteilen, war Campbells Mörder weit über einen Meter achtzig groß. Gibt es irgendwelche eins neunzig großen Lesben bei Ihnen an der Fakultät, Dr. Hildebrant?«
»Ich fürchte, nein.«
»Und diese Skulptur wog eine Tonne, sie war von einer Person kaum zu transportieren. Alles deutet jedoch darauf hin, dass sie intakt, in einem Stück, an ihren Standplatz geschafft wurde. Sie haben es selbst gesehen, Sam. Drei meiner Männer brauchten zehn Minuten, um das Ding in den Transporter zu verladen. Das bedeutet, dass die Person, die die Statue den ganzen Weg vom Haus nebenan und dann den Hang vom Meer herauf getragen hat, ein ungemein kräftiger Typ gewesen sein muss – und wir wissen, dass es nur einer war, weil wir nur Fußabdrücke von einer Person im Sand gefunden haben, und sie liefen nur ein einziges Mal hin und wieder zurück.«
»Ja.«
»Was glauben Sie also, Sam? Sind Sie immer noch der Ansicht, dass die Person, die Dr. Hildebrant diese Botschaften geschickt hat, mit der Person identisch ist, die Tommy Campbell getötet hat? Und dass diese Person homosexuell sein muss?«
»Möglicherweise homosexuell«, unterbrach Cathy. »Aber nicht unbedingt eine Frau.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Markham.
»Sie sagten, Agent Markham, Ihrer Ansicht nach müsse Michelangelos Zeile mit dem Erreichen am Anfang nicht wörtlich zu verstehen sein, richtig? Dass sich mein Bewunderer möglicherweise auf meine Arbeit, vor allem auf mein Buch bezogen hat?«
»Ja.«
»Nun, vielleicht hat er sich dann auch nicht auf mein ›Angesicht‹ bezogen, sondern auf das von jemand anderem.«
»Wovon reden Sie?«, fragte Burrell, aber Cathy sah, dass Agent Markham verstanden hatte. Sein Blick fiel sofort auf das Buch in seinem Schoß, auf das Exemplar von Die im Stein schlafen, das man ihm aus der Bibliothek in Westerly besorgt hatte.
Auf seinem Einband prangte das Gesicht von Michelangelos berühmtester Skulptur.
Sein David.
9
D er Bildhauer stieg aus der Dusche und trocknete sich mitten in seinem Atelier ab. Seine Haut roch sauber – klinisch sauber, wie Desinfektionsmittel in einem Krankenhaus, wie eine gut erledigte Arbeit . Das Einzige, was jetzt noch störte, war der Haufen schmutziger Kleidung in der Spüle. Er würde sie nicht wieder anziehen, würde sie nicht einmal anfassen , bis es Zeit war, ins Haus zurückzugehen. Dann würde er sie in die Waschmaschine werfen und seinem Vater das Abendessen geben. Der Bildhauer würde auch keine frischen Sachen anziehen, denn der Bildhauer liebte es, nackt zu sein – er freute sich darauf, bis weit in den Abend hinein so zu bleiben, wenn er im gedämpften Licht seines Wohnzimmers sitzen, seinen Brunello schlürfen und zusehen würde, wie die Entwürfe für seinen Bacchus verbrannten.
Aber zuerst würde der Bildhauer nachsehen müssen, ob es seine öffentliche Premiere bereits in die Nachrichten geschafft hatte. Er war geduldig gewesen, hatte dem Drang widerstanden, in die Monitore zu schauen, bis er seinen Arbeitsplatz fertig aufgeräumt hatte. Und so fuhr der Mann, der einmal Christian geheißen hatte, auf seinem Obduktionstisch ins Dachgeschoss hinauf – die Zahnräder der Winde waren jetzt sehr viel leiser, da er sie geölt hatte. Er schaltete die Tonzuspielung aus dem Schlafzimmer seines Vaters aus – die A-Seite der Scarlatti-Scheibe, die inzwischen zum vierten Mal durchgelaufen war – setzte sich nackt an seinen Schreibtisch und machte den Ton des Flachbildschirms genau in dem Moment an, in dem der Fox News Channel zu seinem lokalen Partnersender schaltete.
Der Bildhauer kannte
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