Vollidiot
und schaue mich im Zimmer um. Nicht wirklich gemütlich eingerichtet, stelle ich fest, sondern eher gleichgültig. Wie von jemandem, der sich nicht dafür interessiert. Das stimmt. ICH habe das Wohnzimmer eingerichtet, und es hat mich wirklich nicht interessiert. Es ist das erste Mal, dass ich das Zimmer bewusst anschaue. Den silbernen Deckenfluter. Hässlich, eigentlich. Und die zwei beige-farbenen Ledercouchen, die viel besser in das Foyer einer Werbeagentur passen als in ein Wohnzimmer. Die Wände erstrahlen in kaltem Arztweiß, nach einer Pflanze sucht man vergebens. Poster oder Bilder: Fehlanzeige. Ist mir wahrscheinlich bisher gar nicht aufgefallen, weil mein riesiger Flachbildschirm immer lief. Diese Wohnung sagt nichts aus, sie ist unpersönlich und kalt wie ein möbliertes Cityapartment, in das sich japanische Messebesucher für fünf Tage einmieten und dann wieder gehen. Nur dass ich seit drei Jahren hier wohne. Und einen Japaner hatte ich auch nie hier.
In der Ecke, neben meinem Riesenfernseher, steht noch immer das Total-Gym-Paket, das ich auf Phils Karte bestellt habe. Komisch. Der hat sich auch nicht mehr gerührt die letzten Tage. Vielleicht hat er mich ja aufgegeben. Das wäre so schlecht nicht, dann müsste ich ihm die Kohle nicht zurückzahlen. Ich rauche zu Ende, gehe in die Küche und hole ein Messer. Damit öffne ich vorsichtig den Total-Gym-Karton und lege alle Teile sorgfältig nebeneinander. Die Anleitung lege ich daneben. Dann fange ich an. Einmal schraube ich Teil 24C versehentlich mit 11A zusammen, ärgere mich aber nicht, sondern trenne die beiden Stahlrohre einfach wieder und schaue noch mal in die Anleitung. Bei einem Bauteil mit der Bezeichnung 30 C bekomme ich einen kleinen Wutanfall, weil ich nun die Ikea-Regalnummer meines Sessels wieder weiß. Nach fast zwei Stunden bin ich fertig. Das Total Gym ist kleiner, als ich dachte. Womöglich, weil es der winzige Chuck Norris im Fernsehspot so groß hat wirken lassen. Ich binde die Verpackungsreste zusammen und lege sie auf meinen Balkon. Dann erst frühstücke ich. Ich esse eine kleine Schüssel Cornflakes. Während ich esse, suche ich die ganze Packung nach der Überraschung ab. Es gibt keine. Nicht mal eine winzige Überraschung haben sie reingepackt. So was macht mich wütend! Wenn sie keine Überraschung reintun, dann dürfen sie auch nicht draufschreiben, es sei eine drin. Die Überraschung wegzulassen ist vermutlich nur der erste Schritt eines gigantischen Plans der Frühstücksflocken-Mafia, unmündige Konsumenten zu unterjochen. Irgendwann packen sie dann nicht mal mehr Cornflakes rein, sondern Glaswolle oder Stroh, und trotzdem sagt kein Mensch etwas. Ich ärgere mich so sehr, dass ich den Küchentisch verlasse und wieder ins Wohnzimmer gehe.
Ich weiß nicht recht, was ich machen soll. Zum Nachdenken bin ich noch viel zu durcheinander. Also schaue ich aus dem Fenster runter auf die Einkaufsstraße. Ein großer, brauner UPS-Lastwagen steht zwischen der Bäckerei und dem Levi's-Store. Bringt er Jeans oder Mehl? Der Laster fährt weg, ohne dass ich erkennen konnte, was er gebracht hat. Ich setze mich in meinen Sessel und überlege, ob ich traurig bin.
Ich weiß es nicht.
Jeans. Er hat bestimmt Jeans gebracht. Mehl schickt man nicht mit UPS. Ich stehe auf und schaue noch mal aus dem Fenster und tatsächlich: Eine Verkäuferin sortiert neue Jeans ein. Ich nicke zufrieden und setze mich wieder.
Die Zeit bis zum Mittagessen überbrücke ich damit, dass ich mein Bücherregal aufräume und nach Themen ordne. Mein Sorge-dich-nicht-lebe-Buch lasse ich, an der Zitronenstelle aufgeklappt, neben dem Sessel liegen. Mir fällt auf, dass ich sehr viele Reiseführer für Länder habe, in denen ich noch gar nicht war. Die meisten Länder beginnen mit dem Buchstaben S. Ich entdecke sogar ein Buch über die Karibischen Inseln und lege es beiseite. Vielleicht steht ja was über Sombrero drin. Insgesamt elf Bücher haben mit meinem früheren Job zu tun. Ich stecke sie in eine Plastiktüte und lege sie neben die Total-Gym-Verpackung auf den Balkon. Dann heize ich den Backofen vor. Es gibt Schlemmerfilet Blattspinat. Dafür, dass es eine halbe Ewigkeit dauert, bis es fertig ist, schmeckt es nur okay. Außerdem bemerke ich, dass ich vergessen habe, Beilagen zu kaufen. Nach dem Essen rauche ich eine Zigarette und schaue wieder aus dem Fenster. Ich ahne, wie sich Rentner fühlen, die irgendwie den Tag rumkriegen müssen. Ein Kissen lege ich mir
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