Vollidiot
sorgfältig zusammen und lege sie zu den anderen in die dritte Schublade von unten. Die Zitrone lege ich in den Obstkorb. Außerdem habe ich gekauft: H-Milch und zwei Packungen Cornflakes. Angeb-lich mit Überraschungen drin. Da bin ich ja mal gespannt. Ich knipse das Licht in der Küche aus und gehe ins dunkle Wohnzimmer. Kurz nach fünf und schon dunkel. Nichts Ungewöhnliches für Anfang Dezember. Am Fenster ziehe ich die Lamellen meiner Alujalousien auseinander, sodass ich auf die Straße schauen kann. Aufgeregte Passanten wuseln kreuz und quer, mit und ohne Taschen. Ein blondes Mädchen in einem roten Mantel steht rauchend vor der Bäckerei und telefoniert. Vielleicht verabredet sie sich gerade mit einem netten Jungen aus ihrer Klasse, wer weiß? Ich bekomme Lust, auch eine zu rauchen, ziehe meine Finger aus der Jalousie und taste nach der Packung. Dann lasse ich mich behutsam in meinen Sessel sinken und ziehe an meiner Zigarette.
Selbst verordnete Sozialquarantäne. So könnte man bezeichnen, wozu ich mich entschlossen habe. Bis auf weiteres werde ich diese Wohnung nicht mehr verlassen. Es hat ja ohnehin keinen Zweck. Den Job bin ich los, meine Freunde sind sauer, und pleite bin ich sowieso. Das Handy hab ich ausgestellt, das Telefonkabel ausgesteckt. Nicht einmal die Müllabfuhr kann noch Kontakt zu mir aufnehmen, wenn sie die Tonnen in den Hinterhof stellen will, denn die Türklingel ist auch abgeklemmt. Ich brauche Ruhe. Viel Ruhe. Ich muss nachdenken. Nein, ich muss erst mal in einen Zustand kommen, in dem ich nachdenken kann. Ich habe genug zu essen gekauft und genug Zigaretten, das Wichtigste überhaupt. Ich muss schmunzeln über das, was ich da denke. Zigaretten sind das Wichtigste überhaupt? Vermutlich ja wohl nicht. Was ist das Wichtigste? Ich? Der Weltfrieden? Oder das spezielle Aromabackverfahren, das den Pizzaböden diese einzigartige Knusprigkeit verleiht?
Ich drücke meine Zigarette aus und gehe in die Küche. Es ist kurz vor sechs. Um sechs werde ich den Ofen vorheizen und meine erste Pizza zubereiten. Erst dann, das habe ich mit mir so vereinbart, darf ich eine Flasche Rotwein aufmachen. Es wird von nun an jeden Tag das Gleiche sein: morgens Cornflakes, mittags Schlemmerfilet, abends Pizza. So werde ich wenigstens nicht abgelenkt durch unnütze Gedanken, wie »Ohh ... was koch ich mir denn heute?«.
Jetzt ist es 18 Uhr. Ich freue mich, denn das heißt, dass ich den Ofen vorheizen darf. Eine knappe Stunde später esse ich die Pizza. Sie schmeckt gut, und der Teig ist tatsächlich knusprig, vermutlich wegen des Aromabackverfahrens. Ich räume den verbröselten Teller in die Küche und mache mir eine Flasche Rotwein auf. Ich kann sie nicht zu Ende trinken. Schon nach der halben Flasche überfällt mich eine bleischwere Müdigkeit und zwingt mich ins Bett. Ich hab die Decke noch nicht ganz bis zu meinem Kopf hochgezogen, da schlafe ich auch schon.
Ich träume, dass ich mit der Glühwürmchenseilbahn auf eine Insel mit dem Namen Sombrero fahre. Ich soll dort meinen neuen Job antreten. Wie eine endlose Weihnachtslichterkette zieht sich die Glühwürmchenseilbahn über das dunkle Meer. Die Gondeln schaukeln hin und her, und ich habe große Angst, mitsamt meiner kleinen Kabine abzustürzen. An Schlaf ist nicht zu denken, weil die Glühwürmchen viel zu viel Licht machen. Dafür kann ich sehen, wer in den Gondeln hinter mir und vor mir sitzt. Hinter mir sitzt Flik. Er hat einen blauen Schalke-Fanschal aus seiner Gondel hängen und schläft. Vor mir telefoniert Paula. Ich winke ihr, doch sie ist zu beschäftigt. Ich hätte auch gerne ein Telefon. Dann könnte ich Flik anrufen und mich entschuldigen, für die Sache mit Daniela. Oder Paula fragen, wie lange die Fahrt noch geht, das weiß die bestimmt. Ich müsste nämlich dringend mal. Außerdem würde ich gerne wissen, ob man die Gondel essen kann. Das Material sieht fast so aus wie dieser Pizzateig. Ich breche ein Stückchen ab und beiße hinein. Er ist sehr knusprig. Wusste ich's doch!
Ich wache auf, weil ich auf die Toilette muss. Es ist gerade mal sechs Uhr morgens. Als ich mich wieder ins Bett lege, kann ich nicht mehr einschlafen. Schade, ich wäre gerne noch ein wenig in der Glühwürmchenseilbahn gefahren und hätte an meiner Gondel geknuspert. Gegen sieben Uhr stehe ich schließlich auf und setze mich in meinen Single-Sessel. Das Frühstück habe ich für acht Uhr angesetzt, ich habe also noch Zeit. Ich zünde mir meine erste Zigarette an
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