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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
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verrückt.
    Er war doch derjenige, der gleichgültig und kalt war. Zumindest sah es oft so aus, als ob er sich nicht einmal in die simpelsten menschlichen Belange hineinfühlen konnte. Genau genommen wirkte er eher arrogant als geheimnisvoll. Jolin begriff nicht, was daran so anziehend sein sollte. Okay, dass einen Menschen wie Klarisse ein solches Verhalten provozierte, konnte sie durchaus nachvollziehen, aber dass gleich eine ganze Riege intelligenter Mädchen dermaßen auf ihn abfuhr, erschloss sich ihr noch immer nicht. Andererseits konnte auch Jolin nicht leugnen, dass Rouben eine gewisse Faszination auf sie ausübte und ihr gerade vor dem Hintergrund der vielen seltsamen Vorgänge, die mit ihm im Zusammenhang zu stehen schienen, zuweilen richtig Angst einjagte. Trotzdem war sie wohl die Einzige, die wusste, dass er auch anders sein konnte. Zuvorkommend und freundlich, manchmal sogar ehrlich Anteil nehmend und warm. Aber diese Momente waren einfach viel zu selten, um ... Ja, um was eigentlich?
     
    Über Carinas Schicksal drang in den folgenden Tagen nichts an die Öffentlichkeit. Niemand erfuhr, was mit ihr geschehen war. Ihre Familien und die Medien hüllten sich in Schweigen. Trotzdem oder gerade deshalb war sie, eher unterschwellig allerdings, das Gesprächsthema Nummer eins. Eine wachsende Anspannung bestimmte die Atmosphäre in den Unterrichtsstunden der Oberstufe, die durch Klarisses vage Andeutungen und wohl platzierte hysterische Lachanfälle noch verdichtet wurde. Die Lehrer schienen die Einzigen zu sein, die sich davon nicht anstecken ließen. Jolin jedoch empfand diese Stimmung als zunehmend unerträglich, und der Umstand, dass Rouben so lange der Schule fernblieb, machte die Sache nicht besser. Nahezu ununterbrochen grübelte sie darüber nach, was mit ihm geschehen sein mochte und ob er überhaupt in ihre Schule zurückkehren würde.
    Als er dann Tage später an einem Montagmorgen plötzlich im Gang zum Englischraum stand, erschrak sie fast zu Tode. Ihr erster Reflex war, sich abzuwenden, aber das erschien ihr dann doch zu albern. Außerdem hatte Rouben sie bereits gesehen.
    »Immer noch sauer?«, fragte er.
    »Hast du etwa hier auf mich gewartet, um mich das zu fragen?«
    »Nein, ich warte auf Klarisse.«
    »Dann bist du im falschen Film«, erwiderte Jolin. »Klarisse hat jetzt Physik.«
    »Ich weiß«, sagte Rouben nur. Plötzlich vermied er es, sie anzusehen. Überhaupt wirkte er so unnahbar wie nie zuvor, und das wollte schon etwas heißen.
    Jolin biss die Zähne aufeinander. Sie verfluchte sich dafür, dass sie überhaupt mit ihm geredet hatte. Warum war sie nicht einfach an ihm vorbeigegangen? Hatte sie etwa erwartet, dass er sich bei ihr entschuldigte? Oder dass er ihr gestand, Carina entführt und umgebracht zu haben? Himmel nochmal, wie naiv sie doch war! Immer wieder fiel sie auf ihn rein. Oder besser gesagt, auf sich selbst. Sie musste endlich damit aufhören, zu glauben oder zu hoffen, dass sie, nur weil er zufällig neben ihr saß und sich von ihr helfen ließ, in irgendeiner Form eine Sonderstellung bei ihm einnahm.
    Jolin warf den Kopf zurück und ging in den Unterrichtsraum. Sie setzte sich auf ihren Platz und holte ihre Unterlagen hervor.
    Rouben kam die ganze Stunde nicht.
     
    In der anschließenden Pause brachte Jolin ihre Sachen in den Spind. Sie zwang sich, Rouben nicht zu suchen. Doch so sehr sie sich auch bemühte, die Anspannung, die sie seinetwegen verspürte, wollte einfach nicht weichen. Ob es ihr passte oder nicht, Rouben behielt ihre Gedanken besetzt. Er hatte sich in ihrem Kopf eingenistet wie ein Parasit. Beinahe kam Jolin es so vor, als ob er sie absichtlich quälte. Doch auch dieser Gedanke war geradezu grotesk, das wusste sie nur zu gut. Sie selbst war es, die sich quälte, nicht er.
    »Wer bist du? Warum bist du ausgerechnet an meine Schule gekommen? Wieso hast du dich an mich gehängt? Weshalb hast du mit mir getanzt?« Es waren immer dieselben Fragen, die sie sich stellte, mal in Gedanken, mal mehr oder weniger lautlos vor sich hinmurmelnd. Eine Antwort bekam sie nicht.
    Dafür sah sie Rouben.
    Es war nach der siebten Stunde. Und es war auch nicht Rouben, den sie zuerst bemerkte, sondern Klarisse, die sich in der Nähe der Sporthalle herumdrückte. Nervös lief sie auf und ab. Alle paar Schritte sah sie auf ihre Armbanduhr und fixierte anschließend das Schulgebäude. Jolin konnte es nicht verhindern, dass Klarisse sie ebenfalls entdeckte. Sie reagierte einfach

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