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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
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mehr, dort zu sein.«
    »Dann hast du ja vielleicht Lust, mit mir ins Studio zu fahren und Paula abzuholen?«
    Jolin überlegte. Eigentlich wollte sie nur noch in ihr Zimmer und sich in der Wärme ihres Bettes vergraben. Doch der Gedanke daran, jetzt alleine in der Wohnung zu sein, behagte ihr überhaupt nicht. Verstohlen linste sie zum Hauseingang 64. Der Schatten war verschwunden und mit ihm auch die eisige Kälte.
    »Okay«, sagte Jolin. »Weiß Paula, dass du sie abholst?«
    Gunnar lächelte. »Nein. Ich hoffe, wir kommen rechtzeitig, sonst steigt sie womöglich noch in ein Taxi.« Er hielt Jolin seinen Arm hin, und sie hakte sich bereitwillig bei ihm unter.
    Nachdem sie einige Schritte gegangen waren, ertönte hinter ihnen das Schlagen einer Autotür. Ein Motor heulte auf, im nächsten Augenblick schoss der dunkelblaue Lada an ihnen vorbei und raste mit überhöhter Geschwindigkeit über das Kopfsteinpflaster. Jolin zuckte zusammen. Ein eisiger Hauch wehte zu ihr herüber. »Verrückter«, sagte Gunnar. Kopfschüttelnd trat er auf seinen weinroten Ford Mondeo zu und öffnete die Beifahrertür.
     
    original message
    from: r. v.
    to: [email protected]
    subject: hunger
     
    ich bin wütend, wütend und hungrig, vater.
    r. v.
     
     
    original message
    from: antonin
    to: r. v. ([email protected])
    subject: re: hunger
     
    du musst dich gedulden,
    antonin
     
     
    original message
    from: r. v.
    to: [email protected]
    subject: re: hunger
     
    noch vier wochen bis zur Wintersonnenwende ... wie soll ich das ertragen? ich habe sie gesehen, sie alle, es sind mehr, als wir brauchen, ich werde mir eine holen, nur eine ... heute nacht,
    r. v.

 
10
    Die Schmerzen sind unerträglich. Ramalia hat das Gefühl, als ob ihr Leib in Stücke gerissen würde. Leise stöhnend schließt sie die Augen und denkt an Harro Greims, an sein schönes Gesicht und seine sanften Hände. »Es ist dein Kind«, murmelt sie.
    »Und so Gott den Teufel überlisten kann, wird es die Prophezeiung erfüllen. Ich für meinen Teil werde jedenfalls alles dafür tun, dass es nach seinem achtzehnten Lebensjahr in deiner Welt leben kann.« Eine neue Welle berstenden Schmerzes durchfährt ihren Unterleib. Ramalia rammt die spitzen Eckzähne in ihren Unterarm. Wenn sie ihr Stöhnen und ihre Schreie hören, wird das Kind verloren sein und alles wäre umsonst.
     
    Als Gunnar Johansson seinen Wagen auf dem Gelände des Fernsehsenders parkte, war es bereits nach zweiundzwanzig Uhr.
    »Ich warte hier«, sagte Jolin auf seinen fragenden Blick hin. »Mir ist nicht nach Aufnahmestudios und Hektik.«
    »Und wenn es noch dauert?«, erwiderte Gunnar.
    »Frag doch erst mal nach«, meinte Jolin. »Vielleicht ist Ma ja schon weg.«
    Gunnar nickte. Er ließ die Autotür zufallen und lief zügig in Richtung Gebäudeeingang. Jolin blickte ihm gähnend nach. Sein Gang war federnd, sein Oberkörper leicht nach vorne geneigt. Jolin hatte ihren Vater schon hunderte Male so gehen sehen, doch das, was ihr sonst immer so vertraut gewesen war, erschien ihr mit einem Mal seltsam fremd. So, als ob sie ihrem Vater, ihren Eltern, dieser Welt, in der sie bisher gelebt hatte, allmählich entwuchs. Mit einem wehmütigen Gefühl im Herzen dachte sie an jenen Abend vor zwei Wochen, als Gunnar sie ins Wohnzimmer geholt und Paula eine Flasche Wein geöffnet hatte. Wahrscheinlich hatten ihre Eltern ihr schon viel öfter so hinterhergeschaut wie sie gerade ihrem Vater. Vielleicht hatten sie schon vor Wochen oder Monaten das Gleiche empfunden, was sie in diesem Moment fühlte, als sie Gunnar durch die Frontscheibe des Wagens beobachtete. Wie er sich am Griff der zweiflügligen Glastür zu schaffen machte, wie er mit zusammengekniffenen Augen die Firmenschilder musterte, seine Fingerspitzen darübergleiten ließ und schließlich kopfschüttelnd zum Auto zurückkam. Er hatte die Hände in den Taschen seiner dunkelgrünen Wetterjacke vergraben, so wie er das immer tat, wenn es kalt war und er seine Handschuhe zu Hause vergessen hatte. Alles an ihm war richtig, und dennoch: Für Jolin fühlte es sich so an, als ob sie nicht mehr wirklich zu ihm gehörte, sondern inzwischen — lautlos und unmerklich - eine andere Welt betreten hätte.
    Obwohl ihr dieses Gefühl nicht wirklich Angst machte, versuchte sie es abzuschütteln. Jolin verspürte einen leichten Druck im Magen. Sie mochte nicht darüber nachdenken, wie es sein würde, wenn sie in zwei oder drei Jahren vielleicht nicht mehr bei Paula und Gunnar

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