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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
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lebte, wenn sie völlig auf sich gestellt war und ihre Angelegenheiten alleine regeln musste. Noch nicht.
    Inzwischen war Gunnar bis auf zwei Meter an den Wagen herangekommen. Seine Schritte knirschten leise auf dem überfrorenen Pflaster. Er streckte die Hand aus, öffnete die Beifahrertür und steckte seinen Kopf herein. »Wirklich merkwürdig«, sagte er. »Alles ist hell erleuchtet, aber niemand reagiert. Nicht mal einen Pförtner haben die hier.«
    »Da kommt sie doch«, sagte Jolin und nickte zur Frontscheibe.
    Gunnar drehte sich um. »Paula!«, rief er, richtete sich auf und lief ihr entgegen. Jolin sah, wie ihre Eltern sich umarmten. Ein warmes Gefühl durchflutete sie, und plötzlich war sie dankbar dafür, dass sie dieses Zuhause gehabt hatte. Eine quirlige lebensfrohe Mutter, die so phantastisch kochen konnte, dass sie mit ihren Künsten sogar ins Fernsehen eingeladen wurde. Und ein Vater, der mit seiner Ruhe, seiner Ausgeglichenheit und seinem Verständnis immer ein kraftvoller Rückhalt für sie beide gewesen war.
    »Was hast du bloß für Gedanken?«, murmelte Jolin. »Dies ist doch kein Abschied.« Aber vielleicht eine dunkle Vorahnung?
    Wenige Minuten später glitt der weinrote Mondeo wieder durch die Straßen der Stadt. Gunnar fuhr langsam. Der Frost hatte noch ein wenig angezogen. Zudem war Nebel aufgekommen, dessen feine Wassertropfen sich auf dem Asphalt in Millionen winzige glitzernde Punkte verwandelten.
    Paula Johansson war gelöst und bestens gelaunt. Sie erzählte von Gaskochern, ferngesteuert regelbaren Ceranfeldern, einem gestressten Aufnahmeleiter und einer gelangweilten Moderatorin.
    »Dann war das also alles schon echt, was ihr heute gemacht habt?«, fragte Gunnar.
    Paula schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Außer mir waren noch dreißig weitere Auserwählte da. Allerdings ging es nicht mehr um kulinarische Fertigkeiten, wie mir schien, sondern um ganz andere Dinge.«
    »Aha«, sagte Gunnar. »Und welche?«
    » Kamerafestigkeit.«
    »Hm ...« Gunnar nahm für eine Sekunde den Blick von der Straße.
    »Guck nach vorne«, ermahnte Paula ihn sofort. »Mich kannst du noch den ganzen Abend anschauen.«
    »Ach ja ...?«
    Jolin sah im Rückspiegel, dass ihr Vater grinste. Sie konnte sich denken, worauf der Abend für die beiden hinauslief. Hin und wieder benahmen ihre Eltern sich auch jetzt noch wie verliebte Teenager. Jolin war das unangenehm, nicht weil sie sich in solchen Momenten überflüssig fühlte, sondern vielmehr, weil es in ihr eine unbestimmte Sehnsucht weckte. Insgeheim wünschte sie sich einen Mann, wie ihr Vater es war. Einen Mann, der ihr Rückhalt gab und Festigkeit, einem, dem sie vertrauen konnte.
    Rouben wäre ohnehin nie ein solcher Typ gewesen.
    Jolin lehnte sich in den Rücksitz, wandte den Kopf von ihren turtelnden Eltern ab und sah hinaus. Der Mond schien durch die feinen Nebelschwaden fahl auf sie herunter. Die Stadt wirkte wie ausgestorben. Nur wenige Autos schoben sich langsam die Bremerstraße entlang. Auf dem Bürgersteig trippelte eine ältere Frau mit einem kleinen weißen Hund an der Leine. Hoffentlich rutscht sie nicht aus, dachte Jolin. Wenn alte Menschen hinschlugen und niemand in der Nähe war, waren sie oftmals verloren. Sie erinnerte sich, dass im letzten Winter eine Meldung durch die Nachrichtensender gegangen war, die von einem Achtzigjährigen berichtete, der frühmorgens auf dem Weg zum Papiercontainer gestürzt und erfroren war, weil niemand ihn hinter dem Mülltonnenunterstand bemerkt hatte.
    Eine Querstraße weiter fiel Jolin ein junger Mann auf, dessen Bewegungen ihr bekannt vorkamen. Er hatte dunkle Haare und trug einen langen schwarzen Mantel. Leider konnte sie sein Gesicht nicht sehen, weil er sich von der Straße abgewandt hatte und an der Häuserfront hinaufsah. Und im nächsten Augenblick waren sie bereits an ihm vorbeigefahren.
    Rouben, dachte Jolin. Das war Rouben. Natürlich! Ob er hier irgendwo in dieser Gegend wohnte? Ach, egal, es ging sie nichts an, und davon abgesehen wollte sie es sowieso nicht wissen. Es interessierte sie nicht. Dieser ganze arrogante Kerl interessierte sie nicht mehr. Ab Montag musste sie nur sehen, wie sie damit klarkam, dass er in ihrer U-Bahnlinie fuhr und in den meisten Kursen neben ihr saß.
     
    Doch wie sich herausstellte, hatte Jolin sich darüber völlig unnötig Gedanken gemacht, denn Rouben tauchte am Montagmorgen nicht in der U-Bahn-Station auf. Jolin war erleichtert. Sie setzte sich auf einen

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