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from: r. v.
to:
[email protected] subject: re: rendezvous
was heißt das, bis zum ende auskosten? findest du nicht, dass es nun allmählich an der zeit ist, mir das ganze große familiengeheimnis zu offenbaren?
r. v.
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from: antonin
to: r. v. (
[email protected])
subject: re: rendezvous
nur geduld, mein sohn, du erfährst es noch früh genug.
14
Zwölf Jahre verstreichen, dann verlässt Ramalia das Haus und bringt ihren ahnungslosen Sohn in die Nähe seines Vaters. Die Zeit seiner Selbständigkeit beginnt. Er muss lernen, unabhängig zu sein und für sich selbst zu sorgen. Nur noch sechs Jahre, und er wird eine Entscheidung treffen müssen, die seine ganze weitere Existenz bestimmt. Schon bald wird Ramalia ihn verlassen und an jenen Ort zurückkehren, an dem ihre verhasste Familie sie hoffentlich am wenigsten vermutet.
Schweigend kleideten sie sich an. Sie vermieden es, Blicke zu tauschen. Trotzdem registrierte Jolin jede einzelne seiner Bewegungen. Rouben wirkte ungewohnt geschmeidig, die Blässe seiner Haut schien dauerhaft verschwunden zu sein, und obwohl er einige Schritte von ihr entfernt stand, konnte sie seinen Duft wahrnehmen. Das Verlangen, ihn zu berühren, war übermächtig, doch das Gefühl der Demütigung noch um ein Vielfaches größer.
»Warum, Rouben?«, fragte sie leise. »Hast du mich nur benutzt, um einen Menschen aus dir zu machen?«
Rouben schüttelte den Kopf. Er streifte seinen Mantel über, zog das Handy aus der Tasche und tippte etwas ein. »Das kannst du sehen, wie du willst«, erwiderte er.
»Nein, Rouben, das kann ich nicht! Ich muss wissen, was hier gerade mit uns passiert!«
»Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete er knapp.
»Und wenn ich ...?« ... Mich in dich verliebt habe?, wäre sie fast herausgeplatzt.
Rouben schob das Handy in seine Manteltasche zurück und sah sie an. Sein Blick war sanft. »Hör einfach auf zu fragen, Jolin, okay?«
Nicht okay, dachte sie und senkte den Kopf. Sie brachte es einfach nicht über die Lippen. Nicht solange sie das Gefühl hatte, sich dabei kleinzumachen. Wahrscheinlich würde Rouben ohnehin nichts darauf erwidern, sondern sie nur kalt abblitzen lassen. Jolin fühlte sich schrecklich. Sie hätte heulen können, aber dafür musste sie allein sein. Diese Blöße würde sie sich vor ihm niemals geben. Und so versuchte sie, ebenso kühl und distanziert zu sein oder wenigstens zu wirken wie er. Sie schlüpfte in ihren Mantel, warf sich den Schal um den Hals, reckte ihr Kinn vor und sah ihn trotzig an. »Also gut. Fahren wir zurück.«
Rouben schüttelte den Kopf. »Ich bleibe noch eine Weile hier«, sagte er. »Der Wagen kommt gleich und bringt dich nach Hause, damit du deine Sachen holen kannst, und anschließend fährt er dich in die Schule, wenn du willst.«
»Vielleicht möchte ich ja vorher auch noch duschen«, entgegnete sie patzig.
»Kein Problem.« Rouben zuckte mit den Schultern. »Edmond wartet auf dich, bis du fertig bist.«
»Außerdem weiß ich im Moment noch gar nicht, ob ich heute überhaupt in die Schule will«, sagte Jolin.
Rouben sah sie an. »Auch kein Problem«, erwiderte er. »Du brauchst es Edmond nur zu sagen. Ich habe ihn entsprechend angewiesen. Er bringt dich, wohin du willst. Wenn du ihn nicht mehr brauchst, sag ihm einfach, dass er heimfahren soll.«
Jolin wollte seinem Blick standhalten, schaffte es aber nicht. »Okay«, sagte sie und richtete ihre Augen zur Tür. »Ist ja irre nett von dir. Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.«
Rouben schwieg. Wahrscheinlich fand er ihren aufgesetzten, unechten Spott albern, aber das war ihr in diesem Moment völlig egal. Sie wollte nur noch weg.
»Wie lange dauert es, bis dein Fahrer hier ist?«, fragte sie barsch.
»Nicht sehr lange.« Rouben ließ das Handy in seine Manteltasche zurückgleiten. »Zehn oder fünfzehn Minuten vielleicht.«
Jolin stöhnte leise.
»Es tut mir leid, dass es nicht schneller geht«, sagte Rouben.
»Ach tatsächlich?« Das Gefühl der Demütigung schlug in Wut um. »Deinen Hohn kannst du dir wirklich schenken.«
»Ich verhöhne dich nicht«, erwiderte Rouben. »Das würde ich niemals tun.« Er sah so aus, als ob er es ehrlich meinte, trotzdem glaubte Jolin ihm nicht. »Du hast mich betrogen«, warf sie ihm vor, und als er nur verständnislos den Kopf schüttelte, sagte sie: »Du hast mich hierher gelockt. Du hast mich ...« Gevögelt, wollte sie sagen,