Vom Alptraum verfolgt
hatte einen gewaltigen Umweg gemacht, um
mir zu erklären, weshalb er arbeitswütige Leute nicht schätzte, und ich begriff
auch nicht, warum er über all dies reden wollte; aber ich dachte, wenn er schon
alles erzählen wollte, dann konnte ich ihm ebensogut zuhören — und außerdem war ich irgendwie neugierig.
»Es gelang mir eines Nachts zu
entfliehen, gerade bevor die Russen kamen. Ich arbeitete eine Weile für sie,
dann blieb ich ein Jahr lang in einem Flüchtlingslager, und dann gelang es mir,
als Emigrant nach Amerika zu kommen. Es brauchte seine Zeit, um die neue
Sprache zu lernen, mich als Arzt zu requalifizieren und all das aufzuholen, was an gewaltigen Fortschritten während der Kriegsjahre
in der Psychiatrie geleistet worden war. Danach arbeitete ich in
Krankenhäusern. Es war mein drittes, als ich Max Landau kennenlernte — und den
Rest wissen Sie .«
SECHSTES KAPITEL
A ls ich in meine Wohnung
zurückkehrte, war es halb neun Uhr abends. Ich goß mir einen Scotch auf Eis von
angemessener Größe ein, gab einen Schuß Soda dazu und legte eine von Sammy
Davis’ Platten auf und ließ ihn seine Blues durch die fünf in die Wände
eingebauten Lautsprecher meiner HiFi-Anlage singen.
Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als
ich mich anschickte, mir ein zweites Glas zu holen, fiel mir ein, daß sich noch
ein Steak im Eisschrank befand und daß ich hungrig war. Es mußte auf meine
eigene Weise zubereitet werden, aber das Rezept ist so einfach, daß selbst eine
Frau damit fertig werden kann. Man muß das Steak lange genug grillen, um sicher
zu sein, daß es tot ist (wenn nach den ersten sechzig Sekunden kein klägliches
»Muh« erfolgt, ist das ein ziemlich eindeutiges Zeichen). Man belegt es dick
mit gebratenen Zwiebeln, tunkt es mehrfach in französischen Senf und serviert
es. Alles übrige ist eine Angelegenheit zwischen einem
selbst und den Verdauungssäften.
Gegen halb zehn räkelte ich
mich zufrieden in einem Sessel, verdaute mein Steak, hielt ein Glas in der Hand
und lauschte genußreich Peggy Lees Stimme, die von
der Wand her auf mich eindrang und die ganze Skala von Liebe über Sehnsucht bis
zur Verführung durchlief. Bei solchen Situationen hat es seine großen Vorteile,
allein zu leben. Wenn Miss Lees Wiedergabe von Fever das eigene Blut zum Kochen bringt, so stört einen wenigstens niemand in dieser
seelischen Verfassung — zum Beispiel eine plötzlich in Lockenwicklern
auftauchende Ehefrau.
Es gab nichts, so überlegte ich
glücklich, was mich in dieser Stimmung stören konnte. — Danach hüpfte ich gut
dreißig Zentimeter in die Höhe, als die eine Ausnahme eintrat. Ich ging zögernd
auf die Wohnungstür zu und fragte mich, wer, zum Henker, wohl zu dieser
Nachtzeit auf meinen Summer drücken mochte. Im Augenblick war ich geneigt, nur
eine Sorte Besuch willkommen zu heißen — ein halbnacktes arabisches
Tanzmädchen, das auf der Suche nach ungehemmter leidenschaftlicher Liebe um die
Welt gereist war und aus irgendeinem seltsamen Grund soeben meine Adresse
erhalten hatte.
Daß das arabische Tanzmädchen
reine Phantasie war, wußte ich bereits; aber es bestand kein Grund, mir dies
dadurch nachdrücklich klarzumachen, indem man mir sozusagen mit einem nassen
Fisch ins Gesicht schlug! Ich öffnete die Tür und stand von Angesicht zu
Angesicht einem Wesen gegenüber, das vielleicht weiblichen Geschlechts war —
aber so, wie der schmutzige Regenmantel zugeknöpft und lose wie ein Zelt vom
Hals bis zu den Knien hing, konnte man das kaum mit Sicherheit erkennen.
Außerdem kann man heutzutage in dieser Beziehung so schrecklich leicht
Irrtümern anheimfallen. Das blasse Gesicht mit den unbemalten Lippen und das
straff zurückgestrichene Haar half da auch nicht viel.
Nur der dicke schwarze Brillenrand und die ausdruckslosen porzellanblauen Augen
hinter den Gläsern überzeugten mich davon, daß es sich hier um eine weibliche
Spezies handelte. Genauer gesagt, um eine gewisse Kaye Allen, eine gelernte
Biologin, die sich aber vorzugsweise mit verleumderischer Psychologie
beschäftigte, soweit ich mich erinnerte.
»Was, zum Kuckuck, wollen Sie
eigentlich ?« brummte ich. Die angeborenen guten Wheelerschen Manieren lassen nun einmal nichts anderes zu —
wir müssen höflich sein, ganz gleich, wie die Umstände liegen.
»Wir haben noch etwas zwischen
uns zu erledigen, Lieutenant«, sagte sie gelassen und ging dann geradewegs an
mir vorbei in die Wohnung.
»He! Wer hat Sie
aufgefordert... ?« Aber es war
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