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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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richtete sich auf, warf den Kopf zurück, stöhnte auf. Dann sackte er zusammen, und die Arme des Mädchens schlossen sich um ihn.
    Es war die Hand im Nacken.
    Vielmehr sein Finger, der über ihren Nacken strich, zarte, kleine Kreise schrieb, Berührungen, die alles, was ungeklärt zwischen ihnen stand, zusammenfallen ließen.
    Sie wandte sich zu ihm um und spürte, dass ihr Mund halboffen stand. Warum sollte sie ihn auch schließen?
    Sie wollte, dass er sie küsste.
    Sie wollte, dass seine Zunge ihren Mund ertastete.
    Sie wollte ihn schmecken.
    Sie wollte mit ihrer Zunge seinen Mund ertasten, ihn erforschen und erobern.
    Seine Lippen waren geschlossen. Fahrig tasteten seine Augen ihr Gesicht ab, die Stirn, die Augen, den Mund. Er hob die Hand. Schob sie unter ihr Kinn und zog sie an sich. Dann hielt er inne. Keine Handbreit vor ihrem Gesicht hielt er inne. Sie spürte seinen Atem. Und dann küsste er sie.
Jetzt weiß ich, warum ich losgezogen bin, die Welt zu entdecken,
fuhr es ihr durch den Kopf.
    Die Umstehenden begannen, erneut zu klatschen, und rückten von ihnen ab. Mary schauderte.
Sie machen uns Platz. So schamlos können wir nicht sein.
Eine weiche Frauenstimme sang engelsgleich, sanft wie Carls Zungenspitze, die ihren Hals entlangfuhr.
    »Mein Gott, bist du schön.« Carl lachte ihr leise ins Ohr, der kehlige Klang seiner Stimme machte sie verrückt. Sie presste ihren Unterleib gegen seinen Oberschenkel und küsste seine weichen Lippen, dass ihr der Atem ausblieb. Er schob seine Hände ihren Körper entlang, hoch auf ihre Brust. Das Zittern hatte ihren gesamten Körper erfasst.
    »Ich will dich«, hörte sie sich sagen. Es war natürlich so. Es war richtig so.
    Carl hob den Kopf, legte seine Hände um ihr Gesicht und zwang sie, ihn anzuschauen. »Hier?«
    Sie konnte den Blick nicht von ihm wenden. Da war nur er, niemand sonst. Ein rhythmisches Klatschen, vielleicht ein lieblicher Gesang, aber beides weit entfernt.
    Carl beugte sich vor und öffnete die Knöpfe an ihrem Hemd. Sie spürte, dass auch seine Hände bebten. Ein glucksendes Lachen presste sich durch ihre Kehle. Sie lachte und suchte seine Lippen.
    Er zog sie zu Boden. Das Gras war weich, seine Haut kühl und seine Lust heiß, als er sich in sie schob.
    Ja,
schrie es in ihr.
Ja!
    Mehr Platz blieb nicht in ihrem Kopf.

Tahiti, 3.   Juni 1786
     
    Sie lag in seinem Arm. Endlich hatten sie eine Nacht in ihrer Hütte miteinander verbracht, hatten beieinandergelegen und den weichen Schein der Öllampe genutzt, um sich in ihrer Nacktheit aneinander sattzusehen. Mehrere Stunden hatten sie sich nicht gerührt, sich festgehalten und angeschaut und immer wieder gelacht. Leise gelacht, um das Glück nicht zu verschrecken. Zeit hatten sie sich gelassen, bis sie sich wieder geliebt hatten, um es dann sofort noch einmal zu wiederholen.
    Die Sonne stand längst am Himmel, und sie lag in seinem Arm. So schön wie in der Nacht, das Haar zerzaust, die Haut weich vom Schlaf, die Lippen leicht geöffnet. Carl bewegte sich nicht, um nichts in dieser Welt wollte er sie wecken, um den Zauber dieses Moments nicht zu zerstören.
    Die Bilder der letzten Monate liefen ineinander. Mary, die hart arbeitete, meist schon am Morgen über den Tisch gebeugt stand und oft noch tief in der Nacht am Sortieren war. Wie sie klaglos auf Feuerland durch die Kälte stapfte. Ihre Tränen während der Amputation. Ihre Anspannung, als sie die Männer auf venerische Leiden untersuchte. Innerlich lachte er auf und fuhr, um sich abzulenken, mit dem Blick den Schwung ihrer Augenbrauen nach.
    Jetzt gab es keinen Grund mehr, es zu leugnen: Er hatte sie gewollt. Von dem Moment an, in dem er gewusst hatte, dass sie eine Frau war, hatte er sie gewollt. So wie sie war. Vielleicht sogargerade weil sie so war. Der Gedanke, Marc nun Mary zu nennen und dabei eine Erleichterung zu spüren, hatte ihn beschämt und gleichermaßen eine Last von ihm genommen.
    Und jetzt? Wieder rollte ein Lachen durch seinen Brustkorb.
    Ihre Wimpern waren nussbraun und leicht gebogen. Irgendwann würde er sie zählen, sie hatten Zeit, hier in ihrem Paradies.

Tahiti, 18.   Juni 1786
     
    Konzentriert sah Carl auf das Papier in seinen Händen. »Georg Forster schätzte, dass Tahiti hundertzwanzigtausend Bewohner hat. Die Insel besteht aus zwei Halbinseln, die wiederum in dreiundvierzig Distrikte unterteilt sind. Wir können davon ausgehen, dass Forsters Einschätzung, dass jeder Distrikt zwanzig Kriegskanus besetzen kann,

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