Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
Erdofen stapelte. Dann schob er eine letzte Schicht Steine darüber und schloss ihn mit Bananenblättern und Sand.
Revanui, die sich zum Wasserholen aufgemacht hatte, kam den Hang zur Hütte herauf. Sie hatte das Wasser in ausgehöhlte Kokosnussschalen gefüllt, die sie nun in zwei Netzen mit sich trug. Bei jedem Schritt schwangen die Netze auf und ab, sodass Wasser aus den schmalen Öffnungen der Kopfseite schwappte.
»Worüber habt ihr gestritten?«, fragte sie grußlos und setzte die beiden Netze ab. Eine Nuss fiel um, und das Wasser ergoss sich über ihre Füße. Sie schien es nicht zu bemerken. »Tupaia kam mir entgegen, er war in Tränen aufgelöst. Er wollte mich nicht nach Hause begleiten und stammelte, du würdest ihm nur den scharfen Stein überlassen, um selbst die schönen Sachen zu nutzen. Was meint er damit?«
»Ich habe ihn gebeten, das Fleisch zu zerteilen. Dazu wollte er den scharfen Stein nicht nehmen, vielmehr verlangte er nach der Axt.«
»Ja, und warum konntest du ihm die Axt nicht geben?«
Am Keil der Axt hing noch ein Fleischfetzen. Owahiri zupfte ihn ab und rieb ihn zwischen den Fingern. Es war sinnlos, jetzt darüber zu sprechen, obgleich es ihn drängte, sich zu erklären. Doch Revanui würde in ihrer Wut keines seiner Argumente gelten lassen, sobald sie ihren Sohn in Tränen sah, wusste sie sich meist kaum zu fassen. Er entschied, die Werkzeuge in die Hütte zu bringen und dann zum Strand hinabzulaufen. Es blieb ihm genug Zeit, bis das Essen fertig gegart war. Vielleicht würde er Tupaia treffen, und vielleicht könnten sie noch einmal über ihren Streit sprechen. Langsam erhob er sich.
»Du bleibst hier und lässt mich nicht einfach allein zurück.« Breitbeinig stellte sich Revanui ihm in den Weg. Alles Milde und Weichherzige war aus ihren Gesichtszügen gewischt. Schwarz brannten ihre Augen, und die hohe Stirn lag in Falten zerfurcht. »Was denkst du denn?«, schrie sie. »Der Junge sieht, dass immer mehr von uns die eigenen Werkzeuge nicht mehr nutzen, Steine, Holzspitzen, Muscheln. All das ist nichts mehr wert. Wer kann,benutzt eine der Äxte, einen Nagel oder hat sogar eine Schere zur Hand. Ich habe dir gesagt, dass es Ärger um diese Sachen geben wird.«
Wütend stieß sie mit dem Finger auf seine Brust ein. »Gestern, als der Wind aufkam, sind die Kinder zum Wasser gelaufen. Ich dachte, sie wollten mit den Wellen gleiten. Also habe ich Tupaia gefragt, ob er nicht sein Brett mitnehmen wolle. Weißt du, was er geantwortet hat? Er brauche das Brett nicht, sie wollten lieber Eisen suchen. Die Kinder hofften, der Wind würde wieder Eisen an den Strand spülen. Hat hier niemand mehr etwas anderes im Kopf als dieses von den Göttern verdammte Eisen?«
Ihr Finger ließ von seiner Brust ab und strich eine Strähne aus ihrem Gesicht. Sie atmete tief ein, und ihre Stimme war vor Trauer flach, als sie weitersprach. »Ich entgegnete, dass lange kein Schiff der Fremden mehr in der Gegend gesehen worden ist und dass er kaum finden wird, wonach er sucht. Tupaia hat mich mit einem mitleidigen Blick stehen lassen und ist mit seinen Freunden ans Wasser gelaufen. Und was haben sie getan? Sie haben Eisen gesucht, anstatt sich auf den Wellen treiben zu lassen.«
Owahiri ließ die Axt in den Sand fallen. Er zog Revanui an sich und schlang die Arme um sie.
Was soll ich dir erwidern?,
fragte er sich
. Manchmal bin ich mir selbst unsicher, ob du nicht doch recht hast. Vielleicht hat der Besuch der Männer mit den eckigen Köpfen und den hellen Augen letztlich mehr Leid als Freude gebracht. Ich weiß es nicht, ich finde keine Antwort auf diese Frage.
Revanui legte ihre Wange auf seine Schulter. Ihm wurde leicht ums Herz, und er schwieg, um sie nicht mit einem unbedachten Wort weiter zu erzürnen. Sein Blick fiel auf die Axt, den hölzernen Schaft und den grauen Keil. Ja, es war sinnvoller, zu schweigen. Denn wenn er ehrlich sein wollte, musste auch er zugeben, dass das Werkzeug der Fremden tatsächlich besser war. Besser als seine Steine und Muscheln.
Atlantischer Ozean, 20. August 1785
Menschen stinken. Sobald sie den Mund öffnen, die Arme heben, die Mütze abnehmen, die Schuhe ausziehen, wenn sie beim Essen rülpsen, im Schlaf furzen oder bei Seegang kotzen – alles an ihnen stinkt. Und jetzt beginnt auch das Schiff zu stinken.
Seth seufzte. Nicht nur, dass die Menschen stanken, das Brot nach Schimmel schmeckte, die Stoffe Stockflecken bekamen, Eisenteile verrosteten und das Holz
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